VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
621
2. November 1868

Lieber Freund,

Ich habe lange nicht geschrieben und werde doch nun selbst begierig nach Nachrichten (klingt freilich schlecht) von Dir. Ich hab aber auch mit mir selbst viel zu thun gehabt. Die erste Octoberwoche und mehr vergieng über Würzburg und dem Frankenlande, wie Bamberg, Schweinfurt, Baireuth, die wir mit genossen haben, zum Theil wunderschöne, unver­geßliche Tage, mir nur dann und wann etwas versalzen durch das Gefühl der Angegriffenheit, das manchmal stark über mich kam - Gott, man wird ja am Schreibtische immer wie­der ein halbkranker Mann und ist es, ehe mans merkt. Aber Flügel war recht frisch und lebendig, ich freilich oft doch auch. In Würzburg hab ich schon meinen Mann gestanden mit Vorträge halten und sonst. Auch an erlebter Poesie hats nicht gefehlt, wie an erneuten und neuen Freundschaften. Namentlich der Holländer De Vries, von dem Du schon wol durch mich gehört hast, ist ein Prachtmensch an Gemüt und Geist. Er wußte auch ungefähr von dem Aufsatz in de Gids über Dich, aber von Hrn. Grottendieck wußte er gar nichts, will sich aber um ihn und Dich weiter kümmern. Der Über­setzer läßt doch aber gar nichts weiter von sich hören?! Ich möchte scrTon seinen Brief an Dich lesen. Von dem Pariser Besuch im Sept. hab ich Dir wol schon berichtet und von der Aussicht auf eine franz. Übersetzung der Sonderlinge.

Nach meiner Rückkehr gab es saure Arbeit, äußere und in­nere. Meine Angelegenheit war in der Schwebe, und der Ausschlag näherte sich. Jetzt ist er nun geschehen, wenigstens an der einen Stelle, und zwar höchst günstig für mich. Ich bin in einer Sitzung der philosophischen Facultät am Sonnabend vor acht Tagen zum außerordentlichen Professor an der Uni­versität ernannt worden (juchhe!), auf Vorschlag des Mini­steriums. Ich habe also meinen höchsten irdischen Wunsch, der mir immer hoch oben am Himmel hieng wie die Sterne, unerreichbar scheinend, oft von Wolken verhüllt, nur in stiller Nachtzeit dann und wann einmal mir scheinbar näher tre­tend - Gott im Himmel Dank zehntausendmal! Könnt ich Dir doch auch gleich Deinen höchsten Wunsch erfüllen. Ich komme mir auf einmal wie ein Glückskind vor, und war mir so lange und so oft ein rechtes Unglückskind, wie ein ab­sterbendes Fünkchen unter einem Aschenhaufen vergraben, und es war mir doch da unten oft genug, als könnt ich - und sollt ich - die Welt in Flammen setzen, um sie - zu erneuern. Behalt das um Gottes Willen für Dich, als wärst Du mein Tagebuch. Nun wird ja aus dem Fünkchen wenigstens noch ein klein Flämmchen werden, das eine bestimmte Zahl von jugendlichen Herzen und Geistern wärmer und heller macht, daß es besser werde in der Welt.

Die Sache ist übrigens noch nicht officiell (aber sicher), ich sag es hier nur ein paar Leuten, den Allervertrautesten; nun Du da unten kannst es schon wissen, ohne daß es vorzeitig an die große Glocke gehängt wird; Du hast aber auch durch Dein Herz ein Anrecht auf Mittheilung zuerst, hast ja auch darum gebeten. - Vom Geldpunkte freilich, dieser weltlichen leidigen Hauptsache, weiß ich noch nichts; aber auch da wird am Ende etwas vom Glückskinde zu Tage kommen, zumal vom Norddeutschen Bunde aus nun auch eine namhafte Un­terstützung in sicherer Aussicht steht, wahrscheinlich bald. An der Schule bleib ich längstens bis Ostern, dann verlasse ich das alte Haus zum zweiten Male, aber nun für immer­bin 7 Jahre als Lernender, und dann 20 Jahre als Lehrender drin gewesen, beide Male als armer Teufel. Jetzt geh ich fort in das selbe Haus als Lehrender, wohin ich 1843 von der Thomasschule weg als Lernender gieng - eigene Symmetrie meines äußeren Lebens - nun dort noch 20 Jahre? das war himmlisch! Siehst Du aber, Du wirst rein zu meinem Tage­buch, und Du bist doch im Ganzen immer mehr der Ver­schlossene, unter Umständen selbst der Räthselhafte - ich werfe Dirs nicht vor, ich bedaure es.

Doch nun zu Dir und Deinen Angelegenheiten. Wegen der Schillerstiftung hab ich noch nichts thun können, mir wird aus gewissen Gründen der Schritt überhaupt etwas schwer. Aber wenn er wirklich nothwendig ist, so will ich dran gehen sobald ich selbst als Professor auftreten kann; ich hab schon gestern auf unserer letzten diesjährigen Vogelweide bei Groddecks um Rath gefragt, und man billigte das Vorhaben durchaus. Solltest Du übrigens nicht auch in Wien Aussicht haben, unter die jungen Künstler und Schriftsteller aufge­nommen zu werden, die, so viel ich mich erinnere, dort jähr­lich mit Staatspensionen bedacht werden? Hast Du etwa dem Minister des Innern einmal geschrieben oder ihm Reich und Arm geschickt? Ich war auch ganz gern erbötig, einmal einen Brief zu wagen (als Professor), seis an Herbst oder an meinen Lansdmann Beust, ich hab daran schon früher gedacht. Seifer­titz, Bergmann u. A. würden gewiß gern dazu mitwirken durch Empfehlung; wissen denn beide Deine Lage? Selbst für das Gesuch an die Schillerstiftung wären beide am Ende mehr die näheren, wirksameren Gesuchsteller als ich, da Wien jetzt der Vorort ist. Bedenk doch das einmal reiflich und rühre Dich.

Ich habe viele nachträgliche herzlichste Beileidsbezeigungen auszurichten, vom Hinterhause, vom Club, von der Vogel­weide, aus Halle, besonders von Heynes und Gosches; mit der Professorin Gosche hab ich im Hofkeller zu Würzburg in gehobenster Stimmung auf Dich angestoßen (und andere Professorenfrauen halfen dazu). Viele wissen auch von Deiner gefundenen guten Mariann und freuen sich drüber, ich lasse sie herzlich grüßen samt meiner Frau (wie alt ist sie? ich möcht einmal ein paar Zeilen von ihrer Hand sehen). Frau Dr. Groddeck läßt Dir noch sagen, daß ihre Bemühungen um die Stickerei, die bis an zwei der ersten Häuser in Berlin ge­gangen sind, leider gänzlich fehlgeschlagen sind. Aber Papier und Zeit sind alle, also Gott befohlen, meine Frau u. A. lassen grüßen, schreib bald einmal

Deinem R. Hildebrand.

Das Grenzbotenheft will ich Dir zu verschaffen suchen. Felders Fortgang von Schoppernau thut mir selbst ordentlich weh, er verkauft doch sein Haus nicht? Grüß mir ihn und Deine Freunde, auch die gute Rößlewirthin.

Keine