FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
402
12. August 1867

Lieber Freund!

Das, was man bei uns den Franzmichel nennt, wurde wirklich noch so ziemlich in derselben Form hier abgeladen, in welcher er unter Euch zu wandeln pflegte, mit dem einzigen Unterschied, daß mein linker „Lug ins Land" den Blicken empfindsamer Leute durch eine Binde entzogen wurde. Denke Du Dir mich mit dieser Binde, recht klar stelle Dir mich vor, und Du weißt auch, wie der Gemütsmensch Felder hier lebt. Aber ich bin ja erst 36 Stunden hier, so daß ich noch kaum von etwas anderem als meiner Herreise berichten kann, wenn ich nicht die Schubladen meines Denkens und Fühlens aufziehe - und das will ich heute nicht. Daß wir noch Vaduz besuchten, weißt Du sicher schon längst, ich sage das nur noch, weil sich damit erklärt, warum wir erst am Dienstag von Schoppernau abreisten. Die letzte Gestalt meiner Heimat, die ich sah, war der etwas beduselte Pfarrer von Schwarzenberg, neben dem wir am Mittwoch bis Schwarzach fuhren, in Lindau verweilten wir nur kurze Zeit, da der Zug schon 1 Uhr 35 nach Augsburg dampfte. Beamte grob, Gesellschaft still zum Schlafen geneigt. Hildebrand hatte seine Freude an dem altertümlichen Augs­burg, mir aber war das an Kunstschätzen aller Art so reiche München lieber, und unvergeßlich wird mir der Tag bleiben, wo ich in der Stadt herumstrich, die mir eine neue herrliche Welt erscheinen ließ. Am Samstag fuhr ich ungern weg und wir langten abends 1/2 11 Uhr hier im Südbahnhof an, wo Hildebrands Familie uns erwartete. Eins fiel mir von München her besonders auf: Je mehr es nach Norden geht, desto besser werden die Wagen, größer die Bahnhöfe, artiger die Beamten und gebildeter die Gesellschaft. Von Eger (Böhmen) hörte ich nur noch hochdeutsch reden. Man fühlt sich gleich in die Unterhaltung hineingezogen, und auch in dritter Klasse triffst Du Gesellschaft, der gegenüber viele unserer Damen und Frauen nur Küchenmägde sind. Mir ward anfangs etwas wunderlich, hier jedes Kind ungezwungen und rein hoch­deutsch reden zu hören, doch fühl ich schon, daß man daran sich leicht gewöhnt. Ich erkläre mir nun durch mich selbst, was hier einen Goethe so anzuziehen vermochte. Auch mir wird es ein hoher Gewinn sein, die hiesigen Verhältnisse auf mich wirken zu lassen und dann bereichert in unsere düstere starre Heimat zu kommen, um alles das zu ordnen und wenn möglich, für uns fruchtbar zu machen. Schon die letzte Woche war mehr für mich als sonst ein Jahr mit hundert Bänden in Großquart. Doch Du wirst vielleicht nach diesem sorgen, daß mich etwa die höflichen Sachsen schon eingesackt hätten. Da laß Du nur mich. Ich will alles offen und liebevoll in mich aufnehmen und dann sehen, was daraus werden wird. Von Leipzig hab ich noch nicht viel gesehen, denn gestern waren wir doch noch etwas müde von der langen Fahrt. Heute ist Freund Hildebrand wieder in sein saures Tagwerk einge­spannt und befindet sich augenblicklich in der Thomasschule, während ich an seinem Schreibtische sitze im hohen Arbeits­zimmer, welches so ziemlich dem Gewölbe einer Buchhand­lung gleicht und mit den seltensten Schätzen unserer Literatur gefüllt ist.

Dem Wible hab ich noch gestern meine Ankunft und mein Wohlbefinden gemeldet. Auch da mußte ich auf den nächsten Brief vertrösten, denn erst heute denk ich, mich in die Stadt und ihr Getümmel hineinzuwagen und wenn möglich auch das Theater zu besuchen, um es mit dem in München zu vergleichen. Auch von Besuchen bei Keil, Hirzel, Freytag im Germanistenklub u. a. wurde schon geredet. Nächstens sollst Du mehr und viel von Leipzig hören, vorher aber erwarte ich Nachrichten von Dir. Die Allgemeine Zeitung wird sich bald über die Sonderlinge vernehmen lassen. Das wurde Hilde­branden von der Redaktion freundlich zugesagt. Meine Heils­geschäfte werde ich vielleicht in der österreichischen Garten­laube erscheinen lassen, deren Herausgeber mir schon einen zweiten Brief mit nicht zu verachtenden Zusagen schrieb. Ich wollte, Du wärest hier, die Herfahrt kostet etwa 20 Fl., wenn man von München die neue Ostbahn über Eger be­nützt. Hier beginnt die Wahlbewegung, Hildebrand hat mir versprochen, mich in eine Lassallesche Arbeiterversammlung zu führen. Das würde auch Dir sehr interessant sein, be­sonders das Lassallefest am letzten August. Hübsch war's freilich, wenn Du nachträglich Dein vor einem Jahr schon halb gegebenes Wort einlösen und herkommen würdest, daß wir dann zusammen heimreisen könnten. Da Du mir doch recht bald schreibst, bist Du doch so gut, mir mitzu­teilen, ob denn gar nicht daran zu denken sei.

L. Mayer ist nun wohl von Wien zurück, ich bedaure sehr, daß ich ihn nicht mehr antraf, doch ich hoffe, daß das auch noch nach meiner Rückreise anfangs September möglich sein werde. Grüße ihn mir herzlich und sag ihm in meinem Namen herzlichen Dank um alles, was er für mich getan hat. Engelbert Keßler hat mich um Übersendung der Zwei Geburtstage ersucht. Das ist aber jetzt nicht möglich, ein Exemplar befindet sich noch in den Händen des Kunz. Sei so gut, dieses und die „Gespräche" (Manuskript) sofort nach Bludenz zurückzusen­den, damit beim Redaktionswechsel mir nichts zugrunde geht.

Du kannst dann die Zwei Geburtstage auch dem jungen Bargehr und anderen geben, bis ich weiter darüber zu ver­fügen in der Lage bin. Sollte Mayer den Abdruck des er­wähnten Grenzbotenartikels wünschen oder für zweckmäßig halten, so wäre mir es hier ein leichtes, die Bewilligung des Nachdruckes für ein vorher zu nennendes Blatt zu erwirken. Ich bitte Dich, mit Mayern von der Sache zu reden. Wie ich zuverlässig erfuhr, will Bergmann nach Schoppernau. Ich hoffe, daß er meine Abreise noch früh genug erfährt, um einen Gang, der für den - alten Mann gewiß ein harter wäre, nicht mehr machen zu müssen.

Dem Dr. Bickel meinen und Hildebrands herzlichen deut­schen Gruß. Was machen die Herrn in Bludenz, und was gibt's Neues im Land, welches, wie Du siehst, „im Strudel der Eindrücke" von mir noch nicht vergessen, sondern nur allen­falls ein wenig bedauert wurde, das aber darf, soll und muß, wer mit einem Herz im Leib und freiem Blicke zu vergleichen beginnt. - Hier redet man ziemlich laut davon, Beusts Stellung wäre bedeutend erschüttert und man würde nochmals zurück­zugehen versuchen auf das liebe Alte.

Einen Tag später

Nun sind es gerade 24 Stunden, seit ich abbrach, und schon hätte ich Dir eine Fülle von Erlebnissen zu melden. Hirzel schickt mir ein Päcklein Urteile über die Sonderlinge, mit denen ich im ganzen zufrieden sein darf. Das Magazin für die Literatur des Auslands möchte mich als Bahnbrecher für das Deutsche in Österreich sehen und daß ich nicht nur vom Volk, sondern auch für das Volk schriebe. Gestern abends und heute morgens hörte ich Roschers nationalökonomische Vor­träge. Im Theater sah ich Shakespeares König Lear, heute abends - mir zu Ehren vom Germanistenklub Festfahrt nach Kunnwitz u.s.w. Ich habe schon liebe Bekannte, die mich zu jeder Tageszeit besuchen und mich begleiten, wohin ich will. Die Sächsische Zeitung hat schon mit gesperrter Schrift die Ankunft des bekannten Bauerndichters Felder gemeldet, und heut ergänzen die Leipziger Nachrichten diesen Bericht durch das Beifügen, daß Felder mehrere Wochen hier verweilen werde. Nun, das denke ich auch, denn hier ist das Leben so reich, und mir tut es so wohl, an der Quelle zu stehen und zu trinken. Hildebrand versichert mir wiederholt, daß ich mich sehr gut halte, und Dr. Flügel hält mich schon für ordentlich eingeleipzigert.

Morgen soll ich zu S. Hirzel, der, nebenbei bemerkt, von den Nationalen für den Reichstag vorgeschlagen wird, sein Gegen­kandidat Dr. Josef hielt gestern bei der Versammlung gegen ihn eine Rede. Von den hiesigen Lassalleanern scheint man nichts zu  erwarten,  als  daß  sie wieder  in  den  Sack der Partikularisten kommen. Doch genug für heute. Mit Brudergruß und Handschlag Dein Freund

Felder

bei Dr. Hildebrand in Leipzig Windmühlenstraße 29

 

Keine