VON FRANZ MICHAEL FELDER AUS LEIPZIG AN ANNA KATHARINA FELDER IN SCHOPPERNAU

lfndenr: 
403
13. August 1867

Liebes Wible!

Ich lobe mir mein Leipzig - es ist ein klein Paris und bildet seine Leute. Mit diesen Worten Göthes, der auch den Einfluß dieser Stadt empfand, glaube ich den ersten eigentlichen Bericht über das jetzige Walten und Geschaltenwerden Deines Minchens ein­leiten zu dürfen. Erwarte aber ja nichts Ausführliches! Wann um Gotteswillen sollte ich Zeit finden, das Einzelne bis ins Einzelne zu verfolgen? Also kurz ein Abriß des Ganzen im Sinne eines Tagbuches. Am Sontag blieb ich so ziemlich ruhig und still, Alles war mir fremd, und selbst in dem freundlichen Entgegenkommen der Hildebrandschen sah ich etwas, das mir zuweilen fast als etwas gemacht erscheinen wollte. Nun aber schon gestern lernte ich mehrere Mitglieder des vielgenannten Germanisten Klub kennen, und diese scheinen mich durchaus nicht an langer Weile leiden lassen zu wollen. Du darfst nun den Brief lesen, den ich für den Uhrenmacher beilegte, damit ich nicht alles doppelt zu schreiben brauche. Ich habe nämlich hier allerlei zu thun. Jetzt z Z lese ich die bisher bei Hirzel eingegangenen Besprechungen meiner Sonderlinge. Unter diesen interessiert mich voraus eine im Magazin f d Literatur d Auslandes, von der ich auch jeden­falls eine Abschrift mit heim bringen werde. Aber nun ists Zeit sich zur verabredeten Fahrt aufs Land vorzubereiten. Also morgen mehr!

Morgens am 14 August

Gestern Abends großer Ausflug. Der Germanisten Club hatte zwei Kähne gemiethet, auf denen wir Abends 5 Uhr über die Pleiße hinaus fuhren. Denke Dir einen stillen tiefen Strom über dem sich 1 Jahrhundert alte Eichen wölben, den Vogelsang den nur der kräftige Klubgesang unterbricht, dann wieder das Hereinbrechen der Sonne ins grüne Halbdunkel. Und hier, in einem Kreise lieber Freunde denke Dir dein Mindle, dem zu Ehren das alles veran­staltet war. Ich habe nicht Zeit, Dir von der Sitzung im Fichtenwäldchen zu berichten wo ich die erste kleine Rede hielt aber der herrlichen Heimfahrt im Mondschein muß ich hier und werde ich immer gedenken. Hildebrand, Meißner u Flügel führ­ten die Boote, die ernsten Eichen lauschten dem kräftigen Männergesang. Rechts im Fichtenwäldchen Feuerwerk, links von der Stadt Konzert, hinter uns auf dem Wasser lieblicher Mäd­chengesang, und vor uns das Strahlenmeer, das der Mond über die dunkle Fläche ausgoß. O ich wollte, Du wärest dabeigewe­sen. Der nämliche Mond lächelte uns zu, der Dir vielleicht eben beim Trockenlegen Hermanns leuchtete wenigstens hab ich ihm meine Grüße an Dich übergeben und ich hoffe, Du werdest sie auch gehörig erhalten haben. Heut oder Morgen gehe ich zu Hirzeln und bin schon begierig wie wol diese Audienz für mich ausfallen wird. Ich halte das für wichtig wenn auch nicht mehr geradezu für entscheidend, indem ja die Lawine meines Lebens bereits zum Rollen gekommen ist. (Siehe Vorarlberger Landes­zeitung.)

Wenn ich Dir in diesen Tagen eine Zeitung oder so etwas zusen­de, so lese es ganz durch. Ich denke Dir einmal so etwas zu schicken, daß Du ein Bild vom hiesigen Leben bekömmst. Von meiner Heimreise läßt sich jetzt noch nichts Bestimmtes sagen. Einstweilen bleibe ich hier und werde den Tag meines Eintreffens in München noch früh genug angeben, daß der Uhren­macher mir entgegen zu kommen im Stande ist. Stettner in Lindau machte den Vorschlag, Du sollest mir bis Lindau entgegen kom­men. Ich weis nicht, ob sich das machen läßt. Wenn der Uhren­macher nicht Wort hielte, wärs mir sehr lieb, doch ich denke Dich im nächsten Sommer wol weiter als nur bis Lindau mitneh­men zu können.

Wie lebt ihr? Seid friedlich und froh, reiniget euer Wesen von aller Kleinlichkeit, damit ihr würdig seid, mich wieder zu emp­fangen!!

Ich muß denn doch an den Schluß meines Briefes denken, damit er euch noch am Sontag zukommt und ihr neugierigen Fragern er­zählen könnt wie ich lebe und daß es mir gut gefällt und daß ich mich einen Sch..ß D...k um unsere Frömmler kümmere, daß ich aber den ersten Hetzern für sehr Vieles danken müßte, wenn ich ihren Willen und Absicht nicht gar zu gut kennen gelernt hätte. Der Weltfrieden scheint für dieses Jahr uns denn doch sicher zu sein und die Cholera bleibt bisher im Süden sollte sie auch da heraufrücken, so würde ich fliehen und früher als ich sonst beab­sichtigte, zwischen unsere Berge eilen. Hier in Leipzig ist alles zu haben nur nicht frische Luft, staubfreie Strassen, gutes Wasser gute Milch, frische süße Butter u d g. Die erst vierjährige Hedwig deklamirt. Emi lernt Französisch und das Liebste der Kinder ist mir der fleißige und herzgute Hugo, der schon den ersten Tag mein Herz gewann.

Hier wird auch viel geküßt und zwar nicht nur im stillen Kämer­lein, sondern - überall und bei jeder Gelegenheit, das kannst Du der Mutter recht laut vorlesen und auch meine Bemerkung, daß mir das recht gut gefällt. Nun aber muß ich denn doch bald schließen und mich ordentlich anziehen denn in 20 Minuten kommt einer aus dem Klub, mich ins Museum abzuholen, das Frühstück d h z Nünni hab ich eben gehabt u zwar Leipziger Wurst, Doppelkümmel und Schwarzbrot.

Du siehst es läßt sich hier ganz gemüthlich leben ob sich auch arbeiten läßt wird sich nachmittag zeigen, denn ich denke an das Abschreiben der Liebeszeichen zu gehen, um wenn möglich Hrn Keil das Ganze selbst vorlegen zu können.

Sind noch keine bedeutenden Briefe für mich da? Andere brauchst Du nicht zu schicken, sondern es genügt, mir den Inhalt derselben kurz anzugeben, Du wirst mir dann auch Neues schrei­ben wenn wirklich etwas in der Gegend geschehen sollte, was ich aber fast für unmöglich zu halten geneigt bin.

Lebe wol, liebs Wible. Es grüßt und küßt Dich Dein

Franz M Felder

bei Dr Hildebrand in Leipzig

Windmühlenstrasse 29

Keine