VON FRANZ MICHAEL FELDER AUS LEIPZIG AN ANNA KATHARINA FELDER IN SCHOPPERNAU

lfndenr: 
401
11. August 1867

Liebes gutes Wible!

Also wirklich und wahrhaftig in Leipzig wie hereingeschneit. Ich hätte zu lang wenn ich Dir des Langen und Breiten berichten wollte wie und in welcher Stimmung mein Leichnam am Mittwoch von Bezau bis Augsburg, Donnerstag von Augsburg bis München und gestern von München bis Leipzig (140-160 Stun­den), geschoben wurde, daher bleib ich für jetzt in München, wie wir es auch am Freitag wirklich gemacht haben. Doch was soll ich Dir in Eile von all den Herrlichkeiten erzählen, die die Kraft und der Gedanke von Jahrhunderten schuf. Heute kann ich Dir eigentlich nur meine glückliche Ankunft in Leipzig melden auf daß man in Israel wisse, der Herr der Dampfwagen habe mich beschützt und nicht ganz zu Grunde gehen lassen. Ich wüßte Dir auch sonst schon viel Interessantes zu berichten, aber dazu gehört die Stimmung, die ich mir erst wieder gewin­nen, oder eigentlich ordnen muß zudem hab ich Eile, denn ich denke, dieser Brief soll Dir noch am Mittwoch zukommen. Von Leipzig hab ich noch gar nichts gesehen als den Bahnhof und auch den nicht recht, denn wir dampften Gestern Abends 1/2 11 Uhr ein und wurden gleich von Hildebrands Familie empfangen. Daheim angelangt, waren wir müde, und heute ist der Brief an Dich meine erste Arbeit vor der keine Andere mich recht freuen könnte. Die Leute hier sind ungemein freundlich herzlich und zuvorkommend. Ihre Sprache auch die des kleinsten Kindes ist eine hochdeutsch[e] und das geht so ungezwungen und gemäch­lich gemüthlich daß man unter lauter Professoren und Gelehrten zu sitzen meint.

Ich selbst komme mir hier etwas wunderlich vor, aber es ist mir durchaus nicht unbehaglich, wie etwa bei unseren Aristokraten in Feldkirch und Bludenz. Je mehr man auf der Eisenbahn nördlich fährt, desto gebildetere Gesellschaft sieht man neben sich und desto artiger werden auch die Angestellten beim Bahnwesen.

Nicht wahr ich käme schon fast zu einer Lobrede auf sächsisches Wesen, aber auch daran könntest Du Deine Freude haben, da sie Dir ja nur bewiese, daß ich einstweilen recht gut aufgehoben bin. Von Dir erwarte ich bald Nachrichten aus der Heimath und ver­spreche Dir auch nächstens mehr zu schreiben. Grüße mir die Mutter und alle die nach mir fragen, dem Uhrenmacher schreib ich wol bald selbst. Doch nicht heute, wo ich am liebsten gar nichts thun, nichts sehen und nichts hören möchte.

Sorge dafür, daß die Mutter es nicht zu streng hat, doch schone auch Dich selbst. Mit einigen erbärmlichen Batzen die wir doch wol anderwärths werden einbringen, können wir ja einen Tagwerker bezahlen.

Es grüßt und küßt Dich mit inigster Herzlichkeit

Dein

treuer

Franz M Felder

Keine