FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
407
23. August 1867

Lieber Freund!

Ich weiß nicht mehr genau, an welchem Tag ich Dir meinen letzten Brief schrieb, und das müßte ich sehr genau, müßte sogar die Stunde wissen, wenn ich Dir alles Interessante seitdem mitteilen wollte und dazu auch die Zeit fände. Also kurz nur die Brocken, die gerade obenauf schwimmen. Der Besuch bei Hirzel, der mich bald nach der ersten Vorstellung zum Abendessen einlud, verlief zur allseitigen höchsten Zufriedenheit, und Hildebrand ist erfreut über den Eindruck, den ich den anwesenden Herrschaften hinterließ. Gestern ging ich an Hirzels Hause vorbei zu Keil, Hirzel kam auf die Straße und tadelte mich, daß ich nicht ein bißchen hineinkam. Keil sprach viel und war sehr freundlich. Er wünscht Beiträge von mir. Ich bring ihm vielleicht heute noch etwas. Ich habe hier viele, viele Bekanntschaften gemacht, die mir zum Teil von hoher Bedeutung sind, bin auch zum Ehrenmitglied des Germanistenklub ernannt und stehe in einem Kreise von Freunden, der sich auf jede Weise bemüht, mich die Stadt sowohl genießen als auch kennen lernen zu lassen, wenn das in so kurzer Zeit möglich wäre. Hildebrand opfert mir einen großen Teil seiner kostbaren Zeit, die ihm schon durch seine Berufsarbeit so sehr zersplittert wird. Ich fühle schon jetzt, wieviel ich durch diese Reise in jeder Beziehung gewinne, und auch meiner Heimat werde ich manches Gute mitbringen. Wir stehen und ringen nicht etwa allein. Der Knabe Karl könnte noch fürchterlicher werden, seit er sich vom deutschen Geiste angeweht fühlt.

Die Wahlbewegung ist von Tag zu Tag im Wachsen, so daß der Brand in Hohen Georgienstedt bald wieder etwas ver­gessen sein dürfte. Sachsen hat denn doch noch viele Sachsen; in Leipzig suchen die Nationalen einen beliebten Kandidaten, um auch das Volk für ihn zu haben, aber es geht schwer, da schon zwei ablehnten: S. Hirzel und Stephani, Dr. Josef und Bindermann aber nicht durchzubringen [sind]. Jetzt redet man von Eckstein, dem Stuhlmeister der Freimaurerloge, einem Mann, den ich persönlich kenne und der mir einen bedeutenden Eindruck hinterließ. Letzten Freitag besuchte ich eine Versammlung der Nationalen, wo auch ein Arbeiter, Vogt, eine Rede hielt, über die Du gestaunt hättest. Seine Zuhörer waren die angesehensten und bedeutendsten Leip­ziger, was ihn aber nicht hinderte, frisch von der Leber weg zu reden. Interessant ist, wie ich jetzt mit Leuten aus aller Herren Länder deutscher Zunge und den verschiedensten Klassen verkehre. Die Sonderlinge sollen jetzt in keiner der vielen Leihbibliotheken mehr zu bekommen sein. Ich habe von Tüchtigen viel Gutes über das Buch gehört, und die Berliner Nationalzeitung wurde von bedeutenden Männern sehr getadelt, daß sie Kranzels Urteil über das Buch brachte. Die Kritik ist mehr gegen die Dorfgeschichte überhaupt ge­richtet als gegen mein Buch, welchem er nur weniger Re­flexion wünscht. Ich werde vieles Interessante in der Tasche und im Kopfe mitbringen. Hildebranden hätte Dein Kommen wirklich sehr gefreut. Ich habe dem Uhrenmacher den Tag meiner Abreise bereits gemeldet. Es ist der 3. September, an dem ich ihn abends 1/210 Uhr in München im Stachus treffe, wenn er kommt. Es wäre also möglich, daß ich Dich am 5-7. in Bludenz besuchte, sonst aber werde ich Dir von Bregenz aus noch einmal schreiben. Von Dir hoffe ich bald einen Brief hier mit recht viel Berichten aus Vorarlberg zu lesen. Deine Auffassung meiner Mitteilung des Inhalts einer Besprechung meines Buches im Magazin war richtig. Es gibt übrigens Leute, die mich nicht ungern hier behielten, und ich glaube, daß das auf meinen Wunsch auch bald möglich gemacht würde. Anfangs schien entschieden daran gedacht zu werden, Freund Hildebrand ist jetzt mit mir in diesem Punkte einig, wünscht aber, daß ich jedes Jahr eine Zeit hieher oder in eine andere Hauptstadt gehe, und seine Freunde sagen, das werde und müsse möglich werden. Mir wäre das durch­aus lieb, denn es ist mir hoher Genuß zu weilen, wo Kunst und Fleiß schon seit Jahrhunderten ihre Schätze sammelten.

Eine neue Auflage der Sonderlinge wird im Winter er­scheinen, aber nicht zu herabgesetztem Preise, und es scheint mir, ob Mathis auf so ein Exemplar noch ziemlich lange warten müßte. Hier wird jetzt viel von Vorarlberg, dem sonst unbekannten, geredet und im hiesigen Tagblatt laden sich Gesellschaften zu „Sonderlingsabenden" ein.

Meine wohl hundertmal verwünschte Binde steckt endlich zum ewigen Andenken in der Tasche. Dr. Meißner verhalf mir zu einer Brille, die mir sehr behagt und die ich künftig auch daheim zu tragen gedenke, denn sie gewährt mir den Vorteil, daß ich den Leuten viel herzhafter ins Gesicht zu blicken wage.

Was macht Mayer? Ich freue mich, ihn zu treffen und manches mit ihm zu besprechen. Ihm, Dr. Bickel und Herrn Gaßner meinen Gruß. An diese drei denke ich, wenn ich an Bludenz denke, bei Leipzig werde ich an viele zu denken haben und an vieles. Die leere Tafel meines Gedächtnisses hat sich schon anständig gefüllt, und reich, wenn auch mit wenig Barem, werde ich zurückkehren in die Heimat, aus der gestern ein Brief vom Wible mir alles Gute meldete. Sogar die Mutter hatte einen Gruß hinzugeschrieben.

Ich werde Dir von hier vielleicht nicht mehr schreiben, da ich mit der Abschrift der Liebeszeichen und auch sonst sehr be­schäftigt bin, von Dir aber hoffe ich, doch noch einen Brief zu erhalten. Lebe wohl! Mit Gruß und Handschlag

Dein Freund                                            

Franz Michael Felder

Keine