FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
623
6. November 1868

Lieber Freund!

Ich habe schon seit Wochen im Sinn, Dir einmal einen ordentlichen Brief zu schreiben. Ich ward aber diese Zeit her mit so vielerlei Sorgen und Arbeiten, mit deren Mitteilung ich Dich verschonen möchte, belastet, daß es beim Wunsche blieb. Nun endlich hab ich mich aus vielem Quälenden herausgerissen, und erster Ausdruck des angenehmen Gefühls, nun doch wieder frei aufatmen zu können, sind diese Zeilen. Meine Familie lebt im engen Hüttchen zu Hinterhopfreben. Mich hat Feurstein schon früher eingeladen, einige Wochen bei ihm zu verbringen, und ich bin gestern heraus aus dem engen schneeigen Tal. Ich war allein und hatte meine lieben trüben Gedanken. Da ist keine Stelle, der ich nicht auf irgend einer frohen Wanderung in Gedanken der etwas erzählte, die immer meinem Herzen nahe war, mit der ich alles gemein hatte. Dem Stein, auf dem ich einmal ruhte, dem Baum, dessen Schatten mir einmal - ich wußte genau wann, ­Kühlung zuwinkte, ach! allem hätt ich's zurufen mögen, daß sie nicht mehr unter den Lebenden weile, nicht mehr in Gedanken mich begleite. Wohl umschwebt meinen Geist noch ihr reines Wesen, sie lacht noch in mein Leben herein mit ihrer Stimme Silberklang, meine Tränen um sie rinnen sanfter, aber nach Hopfreben, unserm Eldorado, hätt ich doch nicht gehen mögen. Hier hab ich ein eigenes Zimmer, eine freundlichere Umgebung und Ruhe genug zum Arbeiten. Meine Kinder weiß ich in guten Händen. Mariann ist ein gutes Mädchen. Es hat das Herz der Kleinen schon ganz gewonnen. In der Zeit, wo ich jeder geistigen Arbeit unfähig war, hat ihre Lernbegierde mich wunderbar angeregt, und im Drange, sie zu befriedigen, ward ich auch meiner besten Kräfte wieder gewahr. Sie ist eine tüchtige Magd, mir aber ist sie mehr, ist mir eine liebe Freundin geworden. Mit vielem Verständnis urteilt sie schon über manches gute Buch, das wir zusammen gelesen. Die Abende vergingen uns schnell und schön bei Goethe, Scheffel, Gotthelf und anderen Freunden aus meinem Wingolf. Den Tag über möchte ich das Mädchen etwas fröh­licher sehen. Auch mir würde wohl tun, sie nicht immer so zu sehen, als ob ein tiefes herbes Leid auf ihr liege. Jakob geht nun in die Schule und hat sein Kosthaus beim Gottle, so lang die ändern in Hopfreben sind. Ich arbeite an meiner Selbstbiographie und finde dabei meine besten Kräfte wieder. Du darfst aber nicht glauben, daß diese Arbeit etwa nur müßiger Selbstbespiegelung diene. Mein Leben ist ein Spiegel unserer Zustände, und viel des Guten und Besten an mir ist direkt oder indirekt aus unserem Volkstum heraus. Das soll meine Arbeit in ernster, liebevoller Weise dartun und so der Heimat auch, nicht bloß dem Produkt derselben, mir, zum Spiegelbilde werden. Von diesem Standpunkt aufgefaßt, ge­währt meine Arbeit so gut als nur irgend etwas, was Du mir in Deinem letzten Briefe gewünscht und mit Recht empfohlen hast.

Reich und Arm hast Du hoffentlich längst erhalten und wohl nun bald ausgelesen. Ich bin ungemein begierig auf Dein Urteil und erwarte es täglich. Daß ich sonst noch nichts von dem Buch hörte, kann ich mir leicht erklären, da es erst seit kurzem im Handel ist. Du hast eines der ersten gedruckten Exemplare erhalten. Mit dem Deinen ist auch eins an den k. k. Ministerialrat Dr. Hamm nach Wien abgegangen. Laß Dir erzählen, wie ich darauf gekommen bin. Daß ich nach Götzis zu gehen dachte, ist Dir bekannt. Ich habe das auch mehrfach geäußert, so daß es weiter herum bekannt und, wie es scheint, erwartet war. Ich erhielt nun von Dr. Waibel in Dornbirn eine förmliche Einladung, mit ihm zu fahren und nebenbei sein Gast zu bleiben. Du kamst nicht, und das Wetter versprach nichts Gutes. Aber weniger als eine eigene trübe Stimmung hielt mich daheim und machte mich abge­neigt, das Treiben froh geschäftiger Menschen zu sehen. Statt auf die Ausstellung ging ich nach Hopfreben, wo für mich nur Schwermut haust, und führte den im Herbst gemachten Dünger aus.

Einige Tage später besuchte mich Feurstein und sagte mir, daß man mich auch in Andelsbuch gemangelt habe, und er sei eigens vom Ministerialrat beauftragt, mir seine Karte mit seinem Gruß zu überbringen. Weiters erfuhr ich, Dr. Hamm habe sich angelegentlich nach meinem Wirken erkundigt, wo­bei er verriet, daß ihm schon das meiste von meinen Verhält­nissen bekannt sei. Er habe dann auch gesagt, daß mir ge­holfen, mein Streben unterstützt werden müsse, wenn ich es wünschen sollte, von Wien aus, doch möchte er da mit mir selber sprechen, und ein Schreiben von mir wäre ihm schon darum sehr erwünscht. Nun schrieb ich denn sofort und legte auch meinen Roman bei. Eine Antwort hab ich bis heute noch nicht erhalten. Die holländische Übersetzung der Son­derlinge ist nun heraus, und der Übersetzer meldet mir, daß einige Exemplare für mich schon auf dem Wege seien. Ich denke, u. a. unserm Museum eins zu schicken. Auch Reich und Arm ist bereits an Bayer in Bregenz abgegangen. Das Resultat der letzten Vereinsrechnung hab ich Dir kurz gemeldet. Dasselbe scheint denn doch bedeutend genug, um viele Bedenken zu besiegen, und es ist doch Hoffnung, daß man bald den gestellten Anforderungen entsprechen könne, wie man möchte. Jetzt wünschte Feurstein sich nur viermal mehr Waren. Gallus ist wütend. Seine Frau kann ihn nicht mehr besänftigen, denn sie ist gestorben. Schnell ging sie meinem Wible nach, aber dort haben [es] die Geistlichen nicht augenscheinliche Strafe Gottes genannt wie bei mir. Nun - sie mögen recht gehabt haben.

In Reuthe ist nun die Gründung eines Kasinos gesichert. Hier ward von einem Verein der Verfassungsfreunde die Rede. Feurstein und ich und mehrere sind mit Erfolg dagegen, indessen findet der angeregte Gedanke einer Landesbiblio­thek mehr und mehr Anklang.

Der Artikel der Feldkircherin „Aus dem Bregenzerwald" be­ruht auf Tatsachen. Der öffentlich und wörtlich vom Pfarrer Verdammte ist Freund Feurstein. Willam aus Wien ist sehr tätig fürs Kasino.

Was machst Du und wie geht es den  Deinen? Grüß mir Theresen, Dr. Bickel, Gaßner und alle, die sich noch um mich kümmern. Schreib auch bald einmal, recht bald.

Mit Gruß und Handschlag

Dein Freund

F. M. Felder

Keine