KASPAR MOOSBRUGGER AN FRANZ MICHAEL FELDER

lfndenr: 
622
4. November 1868

Lieber Freund!

Auf Deine zwei letzten flüchtigen Briefe flüchtig folgendes: ,Arm und Reich' habe ich erhalten und danke für die Zu­sendung. Ich habe das Buch auch bereits gelesen, und blieb die Stimmung hiebei eine harmonische. Nach meinem Dafür­halten ist der Hauptwert der ästhetische. Trefflich sind die Schilderungen der Natur und ihres Einflusses auf die Stim­mungen des Gemüts, desgleichen die reinen Seelengemälde, die durch das kühne Einbeziehen der Traumwelt nur ge­winnen. Hiebei ist mir mehrfach das gelehrte Werk ,Ge­schichte der menschlichen Seele' von Schubert eingefallen, das Du lesen solltest. Merkwürdig sind einige Dialoge, die wahrhaft dramatisch wirken, z. B. des Krämers mit der Zusei, des Mathisle mit der Dorothee. Sitten, Gebräuche und Volks­charakter sind getreulich und schön dargestellt. Die weibliehen Figuren schöner und vollendeter als die männlichen. Die interessanteste die Schwester der Zusel, das Weib des Andreas und nachträglich des Hans. Die Schilderung im Wider Wäldle gemahnte mich an Ähnliches /: Wahnsinnartiges :/ bei Shakespeare, dem besten Seelenkenner. Vortrefflich ist auch der Seelenzustand der Dorothee nach dem Besuch beim Vater wiedergegeben und bleibt merkwürdig, daß nur in diesem Mädchen die eigentliche Lage der Armen zum Be­wußtsein gekommen ist. - Hansjörg ist ein mir fast unver­ständlicher Charakter, sowie teilweise Jos, ähnlich wie Klaus­melker in den Sonderlingen. Krämer und Hans verstehe ich und gehen mir ein, auch Pfarrer und Kaplan, nur weiß ich die letzte Rede des Kaplan mit seinem frühern Auftreten ohne ein inzwischen eingetretenes Läuterungsstadium nicht in Ein­klang zu bringen. -

Interessant ist mir die Erklärung der Weiberherrschaft im Bregenzerwald; da aber der Grund ihrer Entstehung noch nicht entfernt ist, muß sie wohl als noch bestehend ange­sehen werden und ist daher mehr Zufall, daß die schließlichen Heiraten im Buch dennoch zustande kamen. Mein Gerechtig­keitsgefühl ist überhaupt am wenigsten befriedigt worden. Diese armen, gutmütigen Burschen können aus sich gar nichts und haben ihr anscheinend besseres, späteres Los nicht dem raschen Verschwinden des Krämers /: Gerechtigkeit :/ zu danken, sondern der Gutmütigkeit der Töchter und des Hans, wobei es zweifelhaft bleibt, ob dieser Hans seine im Taumel der Hochzeitsfreuden gemachte Zusage nicht ebenso uner­füllt lasse, wie ähnlich frühere. Auf der Krone in Au wird die Arbeit wohl trotz der erzählten Vorgänge noch verkauft wie früher, und ich fürchte, daß Hansjörg und Jos auch unter den Verkäufern sind, und wenn sie Kinder haben, wette ich darauf, daß diese sich sorgfältig einen anständigen Käufer aussuchen. -

Ich komme aber vom Himmel des Ästhetischen unvermerkt auf die harte Erde der Praxis und sehe, daß ich von der eingangs gewollten Flüchtigkeit bald abgekommen wäre. -

Es würde mich sehr freuen, wenn Dein Schreiben an Hamm einen Erfolg hätte. Den Zeitungsartikel habe ich noch nicht erhalten. Ich bin begierig, wie [es] dem Felder in Alber­schwende geht. Das Barometer-Mindle [?] hat mir den letzten Brief nicht gebracht, er kam ohne Briefmarke auf der Post an, und ich mußte deshalb 111/2 Kr. zahlen, was ich nur zum Zeichen der Diskretion des Rößle bemerke. In dem­selben lagen nicht zwei Briefe, wie Du schreibst, sondern nur einer von Hildebrand do. 4. September. Von der Käsvereinsversammlung schrieb mir Jakob mehreres, was mich sehr gefreut hat. Schicke mir gelegentlich den Brief von Mayer, da ich doch antworten sollte, und den der Admini­stration der Volkszeitung. - Fabrikant Gaßner hat Reich und Arm gelesen und gesagt, daß es ihm sehr gut gefalle, was ich glaube. Dr. Bickel ist am Lesen. -

Halte mir das Gesagte nicht für ungut. Ich war wirklich ge­spannt auf Deine Lösung der sozialen Frage und habe teil­weise mit derselben bereits gerechnet. Diese Lösung kann ich aber nicht als Lösung ansehen und muß das Buch als für die bürgerlichen Leser und Ästhetiker allerdings geeignet, nicht aber als dem armen Arbeitsmann sonderlich dienlich ansehen. Unsere Bourgeoisie /: die Krämer :/ hat die Staatseinrich­tungen und Gesetze für sich, und es kommt wohl nicht vor, daß das Gewissen sie ins Feuer treibt wie Deinen Krämer. Die Weltgeschichte weist kein einziges Beispiel auf, daß eine privilegierte Klasse so freiwillig abgetreten ist. Warum ist aus der Verschwörung beim Jos nichts geworden? Das wäre wohl nicht ästhetisch gewesen wie der Stuhl des Mathisle /: Hilde­brand :/. -

Baldiges Schreiben und die Sendung erwartend Dein Freund

K. Moosbrugger

Keine