FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
681
3. März 1869

Lieber Freund!

Ich danke Dir herzlich für Dein wertes Schreiben. Du hast Deine Worte gesprochen, die in meiner Seele nachklangen.

Meine Selbstbiographie wird in wenigen Tagen fertig. Auch die Abschrift ist von Albinger in Bezau bis auf wenige Bogen besorgt. Ich schließe mit meiner Verehelichung ab. Der Tod meiner Nanni wird gar nicht erwähnt. Du siehst Nanni lebend, schaffend, singend, Du hörst ihre Ansichten über Menschen und Zustände und ihre Gedichte. Die Kapitel, die von ihr erzählen, sind die heitersten. Sonst hat das Buch manches Trübe, weil sich alle heimatlichen Zustände in meinem Leben widerspiegeln und dort mit ihren Wirkungen umso schärfer hervortreten, wo ich selber noch nicht recht fest war. Ich habe mich durch diese Selbst- und Umschau von vielem befreit. Auch ungemein anregend war sie. Manche neue Seite unseres Gesellschaftslebens hat sich mir gezeigt, manches war mir klar, und ich legte es zurück, da ich es dort nicht gehörig ausführen konnte. Ich habe mich strenger Wahrheit beflissen. Ich schone niemand, aber ich übe die Gerechtigkeit in liebe­voller Weise, das heißt mit dem Hinweis aufs Allgemeine und auf das Überlieferte. Noch bin ich nicht eins mit mir, ob ich die Arbeit veröffentlichen soll. Feurstein nennt sie rücksichts­los mein bestes Werk. Das finde ich nun gerade nicht, aber ich glaube doch, daß es trotz seiner Einfachheit manches Schöne und Gute in den 25 Kapiteln bringe. Die Schilderung meiner Knabenzeit, meiner Spiele, der ersten Schuljahre ist sehr breit. Ich kam dabei auf einen ganz eigenen Gedanken, der mir immer lieber wurde und mich nicht mehr ruhen läßt. Ich muß ihn Dir schon mitteilen, obwohl ich's eigentlich nur durch sofortige Ausführung ganz könnte. Daß der Bregenzerwälder durch die Sitte, den Brauch erzogen wird, ist klar, und er hat da nichts vor ändern Bauern voraus als - gerade die Eigentümlichkeit unserer Sitten oder doch vieler derselben. Nun frage ich mich: Wozu wollen diese ihn machen? Mein Senn in den Sonderlingen tritt als ein Ideal auf; aber wie ist er geworden. Ich möchte das Ideal unserer Sitten schaffen: Möchte zeigen den Liebhaber, den Gatten, den Vater, die Geliebte, das Weib. Alle unsere Bräuche greifen in die Entwicklung des Einzelnen ein, sogar das Fen­sterlen und Hineinreden, der Visis [?] (Bettler), das Ge­störtwerden auf dem Strich. Man hat mich ersucht, im Lese­verein in Bezau eine Rede zu halten, ich möchte versuchs­weise über dieses Thema sprechen. Ich habe auch Lust, es gründlich zu bearbeiten. Sowohl die erzählende als die wissenschaftliche Form - letztere natürlich nicht zu streng gehalten, müßte sich dazu eignen und ich glaube, daß mir das Volk und die Gelehrten dafür dankbar wären, besonders da diese Arbeit immer schwerer und für einen Spätem ganz unmöglich wird. Ich möchte hören, ob Du mich verstehst und was Du dazu sagst. Die Selbstbiographie solltest Du doch lesen, da ich mit Dir sowohl über Einzelnes als über die Veröffentlichung des Ganzen sprechen möchte. Mir ist nun die Aufgabe geworden, J. Feldkirchers Gedichte herauszugeben. Wie ich eben erfahre, will mir die Familie die Handschriften gern unentgeltlich benützen lassen, wenn die­selben ins Volk kommen sollen.

Buchhändler O. Janke [?] in Berlin hat mich um Übersen­dung der Liebeszeichen gebeten, weil er sie in der bei ihm erscheinenden „Roman-Zeitung" abdrucken will. Mir fiele da ein hübsches Honorar ab.

Entschuldige, daß ich so viel von mir selbst melde. Jeder redet gern von seinem Tun, ich kann es hier nicht und habe alles allein. Es war so schön, als ich alles mit dem Wible gemein hatte. Es war wirklich meine Ehhälfte und fühlte sich sogar mit mir leidend glücklich. Sie hatte teil an allem meinem Schaffen und war doch weniger blaustrumpfig als manche, die nie aus dem Kaffeesatz herausgezogen wird. Feurstein will meine Gedichte in der Mundart sammeln und herausgeben, um im kleinen zu versuchen, ob mir nicht der Selbstverlag vorteilhaft wäre, zu dem er mir die nötige Unter­stützung anbietet. Ich habe schon mehrmals zu diesem Zweck gearbeitet, und es liegen einige gemütliche Gedichte vor, die ich Dir einmal sende.

Ich arbeite überhaupt sehr fleißig und suche mich in jeder Form auszudrücken. Bereits denke ich wieder an ein größeres Werk, in dem Du sehen dürftest, daß ich mich auch den Zeitfragen nicht verschloß, doch das steht noch im Weiten. Im Fasching war Elsensohn in Bezau, machte den Großen und zog mit seiner Braut herum. Die Titel fangen auch bei uns zu gelten an. Die Kasinos scheinen schlechte Geschäfte zu machen.

Nächstens werde ich Dir die Statuten unseres Lesevereins in Bezau und die Leseordnung schicken. Die Geistlichen sind bereits dagegen. Der Pfarrer von Bizau, Vonbank, war der erste. Im Fasching ging's absonderlich lustig zu, ich habe viel gesehen und wenig genossen.

Das Mötele jammert, meine Magd müsse heim. Ich könne ja Deine Isabell anstellen, da sie im März doch gehe. Ich glaube das nicht und wünsche es nicht. Übrigens macht mich das Gerücht bereits zu einem Hochzeiter mit dem Mädchen, daneben tauchen aber auch drei andere Mädchengestalten auf, größer und voller [?], aber unter ihnen gefiele mir Mariann doch am besten. Will gern sehen, ob sie mir den Sommer bleiben darf oder heim zur Mutter muß, um dort ­Magd zu sein.

Das Mädchen ist mir - offen gesagt - recht lieb. Es tut den Kindern Gutes, kommt mit der Mutter ordentlich aus und hat auch Verständnis für das, was es mir vorliest. Wir beide sind wie Bruder und Schwester, aber oft drückt mich sein un- sicheres Wesen, dann sag ich mir schaudernd: So wird ein

Stiefkind!

Lebe wohl und schreibe bald.

Mit Gruß und Handschlag

Dein einsamer Freund

F. M. Felder

Keine