FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
79
24. April 1863

 

Geliebter Freund!

Nachdem der Himmel gestern nachmittags häufige Tränen weinte über die „Ritter ohne Geist", hat die Erde heute das schneeweiße Kleid der Unschuld angezogen, als ob sie sagen wollte: Ich bin nicht schuldig, daß ich alle Leute tragen und ernähren muß, die auf mir wachsen. Die Schoppernauer „Ritter ohne Geist" fassen aber das anders auf und meinen: Das und die im Lechtal ausgebrochene Klauenkrankheit seien neue Strafen des erzürnten Vaters im Himmel. Natürlich! Gott hat wohl gewußt, daß die Schoppernauer kein Heu mehr haben; warum hätte er also schneien lassen, wenn er sie nicht „schagenioro" wollte?! Dein alter Freund hat über so etwas andere Gedanken, doch sagt er die nicht jedem, sondern sitzt ganz gemütlich in seinem Arbeitszimmer und denkt über das nach, was er erlebt hat, seit er von Dir (Abschied genommen, kann ich nicht sagen) gegangen ist. Und ich muß sagen, ich habe damit Arbeit genug.

Letzten Sonnabend kam der Handlungsreisende der M. Riegerschen Buchhandlung von Lindau zu mir und brachte den ersten gedruckten Bogen meines Nümmamüller mit.

Was ich in dem Kämmerlein

Still und fein gesponnen,

Kommt, wie sollt es anders sein?

Endlich an die Sonnen. 

Goethe

Verlange nicht von mir, daß ich Dir schildere, mit welchen Gedanken und Gefühlen ich diesen Bogen durchlas. O Freund! Es ist ein großer Gedanke, der: Ich will Volksschriftsteller werden. Und dieser Gedanke beschäftigte mich, so daß ich die ganze Nacht wachte. Die griechischen Dichter stellten sich unter den Schutz der Muse, wir Christen glauben an den Heiligen Geist, und wirklich, es gibt etwas hohes Göttliches oder Dämonisches, dessen Werkzeug der Dichter ist, diesen Glauben habe ich ganz fest. Du kannst lachen, wenn Du willst, aber es ist wahr! In jener Nacht habe ich diese Macht gefühlt und ich habe wieder beten können, so andächtig und demütig, wie vorher lange nie. - Ja, ich will schreiben und mich ausleeren! Eine ungeheure Kraft, der ich, wie gesagt, keinen Namen zu geben weiß, drängt mich dazu und läßt mir Tag und Nacht keine Ruhe.

„Der gute Schwager ist heute ungewöhnlich aufgeregt!" Nicht wahr, so beiläufig denkst Du? „Ja, ich bin aufgeregt und auch aufgelegt, für das zu leben, was ich nun als meinen Beruf erkannt habe."

Nicht um Lob und Ehre, nicht um Geld will ich schreiben, nie will ich meine Feder entweihen; aber ich will nützen, wenn es mir möglich ist, das ist das heilige Gelöbnis, das ich in jener Nacht meiner Muse abgelegt habe, und seitdem ist sie, die göttliche, immer bei mir. O, ich habe noch keinen so schönen Frühling erlebt als diesen! Glaube aber nicht, daß diese Stimmung davon kommt, weil ich mich gedruckt gesehen habe, ich habe ja das schon lange vorher gewußt. Und ich weiß oder ahne auch, daß mein Weg nicht nur mit Rosen, sondern auch mit Dornen bestreut ist, und zwar sehr dick. Ich hoffe die Kraft zu haben, daß mich weder Freude noch Leid schwach machen wird. - ? - !

Meine erste schriftstellerische Arbeit, oder eigentlich der erste Bogen derselben, welchen der Reisende jedermann sehen ließ, machte besonders in Au großes Aufsehen, der Reisende ließ mir sein Notizbuch sehen, und ich zählte schon 48 Bestellungen, meistens aus der Au. Der Doktor Waiser ist, wie mir Isabell Simma erzählte, ganz begeistert dafür, es soll ihm „ausgezeichnet" gut gefallen haben. Gestern gratulierten wir ihm zum Namenstag. Kapellmeister Greußing hatte ein Gelegenheitsgedicht komponiert, die Musikanten haben ihre Sache gut, ich die meinige nicht gerade schlecht gemacht. Wenigstens wurde mein Gedicht mit Beifall aufgenommen. Auch der Ritter war dabei und erzählte, daß er sich noch nicht gebessert und immer noch ein hart und immer härter gesottener Sünder sei. Den beiden Lehrern hielt ich eine scharfe Predigt, wobei auch die anwesenden Gemeindsausschüsse nicht ganz ungewaschen wegkamen. Es war drei Uhr, als die Gesellschaft auseinander ging, mir war es zu dunkel zum Heimgehen, und Isabell sagte, ich solle dableiben, bis es etwas heller werde. Sie fing nun ein Gespräch mit mir an, wie sie es sonst wohl mit wenigen, ja mit niemand geführt haben würde, weil sie mich als Deinen Freund betrachtete. Neues habe ich dabei nichts erfahren, aber ihre Urteile über das Alte gehört. Einiges davon werde ich Dir auf Verlangen mündlich mitteilen. Wenn sie offen sich gegen mich aussprach, so kann ich sie darum nicht tadeln, denn ich selbst kann mir Dein Betragen nicht recht erklären. Sie läßt Dich grüßen und Dir als Antwort auf Dein letztes Schreiben an sie sagen: „Wenn Du es am Montag (6. April) nicht so hättest machen wollen, so würdest Du es wohl anders gemacht haben." So glaube ich wenigstens ihre Worte zusammenfassen zu müssen, um mit wenigem alles zu sagen. Ich mische mich nicht in Deine Angelegenheiten und habe mich auch der Isabell nicht aufgedrungen, aber ich verarge es ihr nicht, daß sie mich zu ihrem Vertrauten gemacht hat. Es wäre mir lieb, wenn ich über die Angelegenheit Deine Meinung hörte. Ich habe die Isabell auf einer Seite kennen gelernt, auf der Du sie gewiß noch nicht kennst, doch gehört das nicht in diesen Brief. Bloß spielen solltest Du doch nicht mit ihr! Sie hat sich nicht über Dich beschwert, nein, nicht im mindesten, sondern sie hat nur gesagt: Sie sei froh, daß sie einmal mit mir, Deinem Freund, reden könne; sie habe niemand, dem sie mehr trauen tat als mir. Vielleicht hat sie mich ausforschen wollen, ich weiß es nicht, aber ich tat es ihr auch nicht verargen, wenn sie schon alle Mittel anwendet, um ins klare zu kommen. Also genug für heut! Ich habe noch nie mit Dir über so etwas geredet, Du mußt mir daher verzeihen, wenn es mir etwas schwerfällig herauskommt. Vielleicht bist Du so gut, mir in Deinem nächsten Schreiben etwas darüber mitzuteilen. Wenn ich die Isabell nicht möcht, so würde ich ihr absagen und sonst würde ich - nicht so tun. Ende dieses Kapitels, das zweite Kapitel folgt.

25. April

Mit meinem Dorf-Freimaurer komme ich nur langsam vorwärts. Die Arbeit im Feld ist angegangen und ich werde daher die nächsten Wochen wenig Zeit zum Schreiben haben.

Gestern war der Doktor bei mir zur Stubat. Er läßt Dich freundlich grüßen. Die Auer, die zu den sogenannten Gebildeten gehören, schließen sich immer fester an mich, in Schoppernau hat die Nachricht, daß ich ein Buch gemacht habe, beim - Opium -, wollte sagen, Publikum nichts zur Folge gehabt, als ein ziemlich allgemeines Schütteln des Kopfes. Das Rehmerlied hat statt der Erdäpfeläcker einstweilen folgenden Vers erhalten:

Durchs Dorf rauscht ein Wildbach, ein schneller,

Und ladet zum Bade sie ein,

Er soll auch für Löwenwirts Keller

Zuweilen verhängnisvoll sein.

Am Ostermontag bin ich mit dem Herr Akurat wohl und gut heraufgekommen, und zwar, ohne lange Weile zu haben, obwohl wir etwa eine halbe Stunde auf Dich warteten, er hat mir manches mitgeteilt, wofür ich ihm dankbar sein muß, wie es scheint, mag er mich recht gern. Auch vorgestern versprach er zu kommen, aber vermutlich ist ihm das Wetter zu schlecht gewesen. Den Liebig habe ich bisher noch nicht erhalten. Ich hoffe, Du werdest ihn bald schicken und mir denn vielleicht auch über den Ostermontag Aufklärung geben, Dein Vertrauen werde ich nie mißbrauchen, so wenig als das, welches mir die I. S. geschenkt hat. Sie ist nicht gerade meine Freundin, aber Du bist mein Freund, der teuerste, den ich habe, und eben darum habe ich so offen mit Dir geredet. Früher einmal habe ich gesagt: Ich glaube, daß ich imstand wäre, auch abgerundete Gedichte in unserm Dialekt zu machen. Hier habe ich eine Probe beigelegt, welche jetzt vom Greußing in Musik gesetzt wird. Lebe wohl, teurer Freund, und vergiß nicht

Deinen treuen Freund

Franz Michel Felder,

Litterätle

 

 

Die vorliobt Wäldari

Geston, geston, annilee!
Geston ist äs rar gsin!
I und Nazis Tunile
Seand a zeachod's Paar gsin.
Trunko hind mer roto Winn
Und Kaffee mit Zukar;
Tuni gunts oam ou a klin,
Ear ist gär ka Krukar.

Früher hean i vielmol dinkt,
Tuni war a retha;
Weam dea üsa Herrgott schinkt
Die hats gär nöd schlehta.
Vilmal ist mor ku in Sea:
„Ists Gottswill, so g'schiot's dinn!"
Babol hett o sealb geen ghea,
Die hat gseit: „Ma sioht's dinn!"

Und iz sioht mas, winn ma wil,
Babol sioht's und andor;
Jau mit Tunin wärod viel
Geen aluo selbandor.
Winn dar nähtig Aubod hüt
Tunin nüd duot rüuo,
Kunnod wägo minnor d'Lüt
Mi dor d'Hächlo züuo.

Joz ist Tuni drum und dra
Mit mor z'karesioro;
Bis zum nästo Schaultjaur ka
Widor viel passioro.
Ear hätt jau aluo a Hus,
War a Buob a rehta,
Christli ist ar zum Vorus,
Dau hetts i nüd schlehta!

- Tunile - Wenn der Liebhaber hier Tunile, später aber Tun; genannt wird, so ist das kein Widerspruch, denn zuerst sagt sie ihm den Namen, den man ihm im Dorf hat, später aber, wo von ihren Wünschen und Hoffnungen die Rede ist, nennt sie ihn „Tuni".

Extra Beilage

Der Abend des 23. April [1863] Fortsetzung

Zweites Kapitel

Es ist hier nicht der Ort, Dir das an jenem Abend geführte, mehr als eine Stunde lange Gespräch genau und wörtlich mitzuteilen, und doch hat jedes Wort seine Bedeutung gehabt, ich ziehe es also vor, Dir nur meine Bemerkungen über dasselbe mitzuteilen.

Als Du am Ostermontag so trocken gegen sie warst und am Ende noch gar zu einer ändern auf den Strich gingst, - was mußte sie denken, was hättest Du, was hätte fast jeder Mensch an ihrem Platz gedacht? Du weißt, daß ich gar nicht „verisabellerlot" bin, aber als Dein Freund liegt mir die Sache, wie Du sehen und gesehen haben wirst, wirklich am Herzen. Bei Isabellen ist, scheint's mir, eine Krisis eingetroffen, Dein Betragen hat sie zu dem Gedanken gebracht, daß sie Dir gleichgültig geworden sei. Wolltest Du ihr nun schreiben und Vorwürfe machen, daß sie zu mir etwas gesagt habe, so würdest Du ihr Unrecht tun: Sie hat mich für Deinen Freund, und da sie mit Dir kein vertrautes Wort reden konnte, so wollte sie die gute Gelegenheit benützen und mit mir reden, das kannst Du ihr, wenn Du es ruhig überlegst, gewiß nicht verargen. Sie hat mich nicht geheißen, Dir zu schreiben. Ich war schon in der Kammer, sie wollte wieder gehen, da sagte ich: „Morgen werde ich vermutlich dem Kaspar schreiben, soll ich Dir ihn grüßen lassen?" Da sagte sie mir, was ich Dir oben als Gruß kurz mitgeteilt habe. Erzählte mir dann, wie es so geht, eins nach dem ändern. Sie sagte, daß sie wisse, daß ich ihr Vertrauen nicht mißbrauchen werde. Vielleicht hätte sie es nicht einmal gern, daß ich Dir das mitteile, aber ich glaube als Dein Freund zu handeln. Ich habe mich nicht eingemischt, sie nicht ausgefragt, aber ich sah, daß das Reden ihr ein dringendes Bedürfnis war. Ich habe oben bemerkt, daß ich etwas an ihr gesehen habe, das Du gewiß noch nie bemerkt hast; und ich füge hier noch bei, daß es keine unangenehme Entdeckung für Dich gewesen wäre, es war, als sie von einem Artikel erzählte, den ich vor mehr als einem Jahr in der Innzeitung gelesen habe, und den sie damals ebenfalls gelesen hat.

Ich habe hievor noch nie kein Wort gesagt, habe auch heute mich lange bedacht und am Ende über mein Bedenken selbst lachen müssen. Abah, habe ich gedacht, er ist Dein Freund und wird die gute Absicht gewiß nicht verkennen. Wenn ich diese Voraussetzung nicht gehabt, so hätte ich Dir gar nicht geschrieben.

Aber was hat denn mein Freund gesagt?, wirst Du fragen. Und ich antworte: Gar nichts. Ich bitte Dich, keinen Schritt unüberlegt zu tun. Ja, ich muß Dich bitten, mir sobald als möglich zu schreiben und dann auf meine Antwort zu warten, ehe Du sonst etwas tust. Der Kurat in Rehmen ist ihr Rater und Beichtvater. Auch darüber hat sie mir Mitteilungen gemacht, und wenn Du noch Neigung zu ihr hast, so wäre es, glaub ich, gut, wenn sie diesen nicht mehr zu oft um Rat fragen würde. Einstweilen habe ich ihr Vertrauen und hoffe, auch das Deinige verdient zu haben. Ich erwarte also baldigst eine Antwort und verspreche Dir, nie etwas zu sagen oder zu tun, wenn Du mich nicht heißest, sonst aber springe ich Dir durch ein Feuer, wenn Du eine Unterredung mit mir wünschest, so kann ich ja hinauf kommen, jedenfalls mußt Du mir schreiben oder mit mir reden, bevor Du sonst etwas tust. Nun hast Du meine Meinung gehört. Lebe wohl, Dein treuer Freund

Franz Michel Felder

Am 25. April abends.

Ich bitte Schrift und Stil zu entschuldigen, denn ich hatte Eile! Ich habe hier nicht Isabellens Fürsprecher machen wollen, sondern ich tat nur, was ich Dir als Freund schuldig zu sein glaubte. Du magst nun denken, was Du willst, jedenfalls glaube ich, etwas Besseres mit meinem Brief verdient zu haben als Dein Auslachen.