FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
82
13. Mai 1863

 

Geliebter Freund!

Dein letztes Schreiben habe ich erhalten und erlaube mir nun, der Antwort auf die in demselben an mich gestellten Fragen ein paar einleitende Worte voraus zu schicken. Mein bißchen Bildung, oder was es ist, verdanke ich keiner Schule. In meinem stillen, ruhigen Schoppernau bin ich heute vor 24 Jahren zur Welt gekommen, hier verträumte ich meine Jugend. O, eine schöne Zeit. Aber doch nicht so friedlich und gemütlich, als mancher glaubt, der mich nur als Humorist kennt, auch in mein Leben hat sich schon mancher Mißton einschleichen wollen. Zwar wurde ich auch hier nicht verschont von den Stürmen des Lebens. Diese haben mich zwar fester gemacht, aber nicht verhärtet. Mein Geist fand nicht genug in dem, was das Leben daheim mir bot. Die Phantasie war es, die mir eine neue Welt erschloß, und diese ist, wie Du wissen wirst, nur eine Stiefschwester der ernsten Weisheit. Vielleicht habe ich Talent zum Dichter, ich glaube es wenigstens, aber gewiß weiß ich, daß ich einen schlechten Juristen abgegeben hätte, weil die Phantasie mir immer, gerufen oder ungerufen, ihren Zauberspiegel vorhält und damit ihre bekannten Streiche spielt. Ich schreibe daher meine Briefe eigentlich auch nie an den Juristen Moosbrugger, sondern an meinen Freund Kaspar, und muß dich daher bitten, sie auch so zu lesen und zu beurteilen.

Du hättest Dich noch erinnern sollen, daß ich mich früher um Dein Verhältnis zu l. nie kümmerte und nie mit Dir davon redete. Am Ostermontag war ich nicht als Beobachter in Eurer Gesellschaft, und das war auch nicht gerade nötig, Du würdest Dir gewiß keinen solchen Aufpasser, der unberufen alle Deine Angelegenheiten ausforscht, zum Freund wünschen? Einmal ich nicht! Erst als mir von ihrer Seite Mitteilungen gemacht wurden, fing ich an, darüber nachzudenken. Aber natürlich wußte ich wenig mehr als das, was sie mir gesagt hatte, und ich gestehe offen, je länger ich nachdachte, desto weniger brachte ich Vernünftiges heraus, so daß ich am Ende denken mußte, Du habest das letzte Jahr nur mit ihr „gespielt". Deinen letzten Brief an sie habe ich nicht gelesen. -

„Und Du verurteiltest so Deinen Freund?" Ja, so habe ich geurteilt, aber eben darum, weil ich ihn nicht gelesen, denn hätte ich ihn gelesen, so würde ich ihn sicher auch besser verstanden haben, als das bei ihr der Fall gewesen zu sein scheint. Nun aber, da ich ihn nicht gelesen, mußte ich das auf Treu und Glauben annehmen, was sie mir davon sagte, und kann nicht dafür, daß Sie Dich nicht verstanden hat oder nicht verstehen wollte. Höre z. B. nur: Sie sagte: Du habest ihr bald nach Deiner Abreise geschrieben, in dem Brief habest Du sie beinahe auslachen (?) wollen, Du habest geschrieben: Sie werde jetzt wegen Deinem Betragen am Ostermontag wohl recht „drean" (nämlich in Verlegenheit) sein, das hättest Du nie schreiben müssen, das Entschuldige(?) hätte es gar nicht nötig gehabt. Wenn Du es nicht so hättest machen wollen, so würdest Du es anders gemacht haben, zwingen möge (?) sie Dich zu nichts; aber einmal, und es sei noch nicht zwei Jahre seitdem, habest Du das Heiraten und alles mit ihr gerichtet gehabt. Nun: wie sollte ich armer Versmacher das zusammenreimen, Dein Betragen am Montag und Deinen Brief an sie, wo Du sie auslachst und Dich entschuldigst, dann das mit dem Heiraten und dergleichen. Ich muß sagen, ich konnte nichts Vernünftiges herausbringen und tat daher, was ich nicht lassen konnte, nämlich ich teilte Dir alles mit. Nun kommst Du und siehst meinen Brief an, etwa wie die Akten eines Prozesses, nicht wie eine freundschaftliche Mitteilung. Daß ich für solche Sachen nicht der Mann bin, weiß ich ganz gut, eben daher kommt das „Zittern" meines Briefes, wie Du es nanntest, aber wie ich gelesen, hast Du dann meine gute Absicht doch anerkannt. Doch Du warst über meinen Standpunkt, von welchem aus ich den Brief schrieb, ebenso im Irrtum, wie ich über den Inhalt Deines Briefes im Irrtum war. Jetzt hoffe ich, werdest Du keine Fragen mehr zu stellen haben. Was die von mir geschriebenen Worte: Es sei eine Krisis eingetreten, in jenem Brief zu bedeuten habe? Ich glaube bemerkt zu haben, daß der Ostermontag und Dein letzter Brief an sie sehr erkühlend gewirkt haben. So nun wäre denn dieses Kapitel, und hoffentlich für immer, zu Ende. Deine Predigt im vorletzten Brief habe ich mit gebührender Demut gelesen, ich gestehe offen, daß Isabella da schärfer beobachtete als ich, aber ich weiß auch warum. Aber daß sie auf die Argenzipflerin (verzeihe, daß ich ihren Namen nicht weiß) eifersüchtig ist, das hattest gewiß auch Du nicht gedacht, oder?

Mein Eorgotags-Gedicht hat das Wible abgeschrieben und ich lege es hier bei. Die letzte Zeit her habe ich Arbeit im Felde gehabt, und daher ist mein Dorf-Freimaurer, oder wie er heißen wird, nicht mehr vorwärts gekommen. Der erste Bogen meines Nümmamüller ist, so viel ich höre, im ganzen Bregenzerwald von den Gebildeten gelesen worden. Dr. Walser kann nicht fertig werden mit Loben und prophezeit mir alles Gute. Der Druck des Werkchens geht ungeheuer langsam und ich habe in den Korrektur-Bogen noch sehr viel Druckfehler zu verbessern. Mein nächstes Werk, wenn ich noch etwas Rechtes zustand bringe, werde ich an einen Verleger schicken, der damit besser umzugehen weiß. Doch vorerst will ich hören, was Kritik und Publikum zu diesem sagen werden. Und nun geht's wieder zum Etza. Das Wetter ist herrlich, Gras so genug als Wasser, und in meiner Bünt ist mir so wohl, als es einem Dichter nur sein kann. Jetzt werden die Schoppernauer wohl nicht mehr daran denken, daß wir einen erzürnten Vater im Himmel haben. -

 

Herrn Dr. [Georg] Walser zum Namenstag

23. April

 

Iz kund mor do ga gratelioro, /
Und i will iz redo sä guod is ka; /
Du wiost ou do Willo naz estimioro, /
Sus, lioba Gott, war i übol dra! //

Meor Wäldar sand aso klotzat Lüt, /
Und bruchod Gedult- nöd blos a klin, /
Du merkst das gweos nüd das eist mal hüt /
Und i föor äs wed nöd das letzt Mal sin. //

l seig, wie äs ist, du muost vil artreigo /
Und Tag und Nath hast nie ka Ruoh, /
Unamüodor thuost macho und seigo, /
Und host no vilmal klinno Luoh. //

l wos äs muaß d'r mingsmol sin /
Wie Sankt forgo undon Hodo, /
Doch seist dinn nöd: iz huost i drin /
Und laust das nie arlodo. //

Und das ist schöa und kristli und reth, /
Sankt Eorg hats akurat aso g'hea, /
Meor Wäldar seand im Grund nöd schleth, /
Bios kunt üs das Reth nüd allad in Sea. //

Drum blib du bi üs, duor üs lehro und wehro, /
Du käst üs grüseli viel Guots tuo, /
Das Leid duor lido Sankt Eorgo z'Ehro, /
Dinn hast darföor da n ebigo Luoh. //

Und gär all samo die gschitero Lüt, /
Wie i zum Bispiel mugod di geen, /
! muoß grad offo seigo hüt, /
As ist hur nu nätt äs wie feen. (voriges Jahr) //

Waud ani kunst, uf Steago und Weago, /
Luagot do alls sammo fründli nau, /
Und wünscht im Stillo d'r Glück und Seago, /
Dinn alla Lütto hast Guots schu tau. //

Dearo a Mindle mäth i sinn; /
Und allom helfo i d'r Nod, /
zahltet - hinnath nu a Maoß Winn - /
As wärs weath - und um etli Krützar Brod. //

Hat nosso nossar Weh im Buh, /
Und duot o das bim Schaffa iohro, /
Wie äs bim Buweh ist d'r Brüh /
So duost o du kurioro. //

Und fählt äs oam im Ruggosgraud, /
Und hat ar Tag und Math ka Ruoh, /
So woßt ar um ihn kan ebigo Raud /
Und schickt halt gnoth dum Doktar zuo. //

Nautars Jokele * schwehrt gottslästerli,
Hebt und kebt si a sinnom Knüh
Iz kunst du und gist um Pflästerli
S'Jokele bruchts und hat ka Ruh.

Mingem Vater hast sinno Buobo, /
Mingem Gogo d'Muottor widor gio, /
Und um Mäh, wie da aulto Rüoschar z'Gruabo, /
Ist äs ka Schado, a maul muoß aß nio. (nehmen) //

Meor sand froh, daß mor di zum Doktar hind, /
Meor Gsundo und di Kranko, /
Da Kranka käst Guttora gio, winns wind, /
Üs Gsunda guot Gedanko. //

*) Nautars Jokele - Einer der originalsten Schoppernauer, der in meinen
Dorffreimaurern unter dem Namen Hansjauk wahrheitsgetreu geschildert
wird; er ist „Bigotsch" 64 Jahre alt.

 

*) Nautars Jokele - Einer der originalsten Schoppernauer, der in meinen Dorffreimaurern unter dem Namen Hansjauk wahrheitsgetreu geschildert wird; er ist „Bigotsch" 64 Jahre alt.

Drum här i Eorg soll leabo ho /
Und deara ist äs ou a so /
Chor (langsam, laut und deutlich)

Jaou!

Franz Michael Felder

 

In Deinem nächsten Briefe bitte ich Dich, mir auch zu schreiben, was Du meinst: Ob mir zwei Stellen in meinem Nümmamüller Ungelegenheiten machen könnten? Die eine ist gegen die Herrn auf dem Gericht im allgemeinen, also nicht bedeutend. Aber in der andern tadelt der Wirt in schonungsloser Weise, daß man, wenn man etwas kaufe, auch noch Abgaben zahlen müsse. Er tadelt also ein bestehendes Gesetz. Geht das, und wie wird es mir dabei gehen? Ich bitte um baldige Antwort, da ich nötigenfalls die Stelle im Korrekturbogen noch streichen könnte. Nur acht Tage wollte ich gern eingesperrt werden und dann die Stelle stehen lassen, aber Geldstrafe! - !

Sonst bin ich gesund und wohl und die Unsrigen alle. Deine Schwester Mariekathrin ist mit mir aus mehreren Ursachen nicht zufrieden: Erstens sagt sie, ich schaffe mich z'Tod und dann haben die 75 Kinder, die ich bekommen werde, keinen Vater mehr, zweitens hat sie sagen gehört, die Dichter würden doch nicht reich, und drittens nun es ist genug.

Schreibe mir bald wieder und teile mir nebst vielem andern dann auch mit, wie Dir dieses Gedicht gefalle und wie oft Du beim Lesen dieses Briefes gegähnt habest. „Die Verliebte Wälderin" hat man an der Auer Kilbe gesungen und sie hat mir und allen recht gut gefallen. Dr. Walser war letzte Woche in Weiler, ein Bruder ist ihm gestorben. Lebe wohl

Der Obige

16. Mai

Endlich wieder ein paar Minuten Zeit, um diesen Brief zu schließen! Ich habe jetzt den ganzen Tag Arbeit, komme nie zum Sitzen als beim Essen und in der Bünt, wo ich neben dem Hüten im Gotthelf lese. Meine vorgestern ausgesprochene Prophezeiung ist nicht eingetroffen, denn die Schoppernauer reden wieder viel vom erzürnten Vater im Himmel. Die Klauenseuche rückt nämlich immer näher, durch die Lechtaler Kühe ist sie hergebracht worden und ist nun in Bezau, Bizau, ja sogar in Au schon in zwei Ställen, nämlich beim Rüfle in Schrecken und beim Albrecht in Weiden. Man wendet alles Mögliche an, damit sie nicht weiter komme, aber ich fürchte, es sei zu spät.

Nun haben auch die Schoppernauer angefangen, von meinem Buch zu reden, so viel sie neben der Viehkrankheit noch Zeit haben. Und ich habe da mehr interessante als angenehme Beobachtungen machen können. Z. B. interessant war mir, zu hören, was der Pfarrer dazu für ein Gesicht mache, aber freundlich war dieses Gesicht nicht. Ich kann es ihm, einem echten Tiroler, auch nicht verdenken, wenn es ihm nicht gefällt, weil er nicht weiß, was ich später noch alles auskratzen werde, denn er mag sich vielleicht auch daran noch erinnern, was ich z. B. von ihm noch alles sagen könnte, und zwar ohne zu dichten.

Ich habe diesen Brief soeben wieder gelesen und dabei gefunden, daß er, gegen Deinen gehalten, ungemein einfach ist. Aber ist nicht auch mein Leben, mein ganzes Ich, einfach gegen das Deine. Wenn Du nun meinen einfältigen Brief mit dem Interesse läsest, wie ich Deinen vielfältigen! Daß ich mit Deiner Ansicht über menschliche Freiheit nicht ganz einverstanden bin, wirst Du mir glauben. So z. B. ist heut gutes Wetter, wer will, kann in die Streue, aber ich glaube nicht, daß das gute Wetter darum da sei, daß man in die Streue könne, sondern man kann in die Streue, weil sie trocken und weil gutes Wetter ist. Eben so war es auch mit meiner Unterordnung unter ein höheres Wesen. Ich fühlte und fühle ein höheres, wenigstens mir selbst unerklärliches Etwas in mir, das mich zum Schaffen treibt, aber der Vorsatz: Meine Feder nie zu entweihen, war doch mein freier, eigener. Wie bist Du aber zu diesem Vorsatz gekommen?, fragst Du. Ich glaube aber doch, behaupten zu dürfen, daß beim Menschen nicht alles von Geburt, Erziehung und Umgebung abhängt. Ich habe alles das gehabt wie andere Wälder, und bin, das darf ich sagen, doch ein wenig anders geworden, als sonst die meisten Wälder sind. Wären wir jetzt beisammen, so würde ich noch vieles darüber zu sagen haben, würde einen Streit anfangen, länger als der Weg von Lechleiten nach Krumbach, so aber kann ich nichts tun, als in Gedanken sagen: Wenn wir auch nicht immer alles gleich im Kopf haben, wir sind doch gute Freunde; und ich hoffe, je länger desto besser. Vielleicht komme ich später einmal dazu, über diesen Punkt meine Meinung auszusprechen, woran Dir aber sicher nicht viel gelegen sein wird. Heut fehlt es mir zum Philosophieren an - allem. Ich bitte Dich, mir bald wieder zu schreiben, denn ich habe keinen Umgang jetzt als die Bücher. Der Doktor W. schmeichelt mir und tut mir freundlich, der Kurat detto - aber ich traue ihnen nicht recht, und wo mir das Vertrauen fehlt, da fehlt mir alles, Dir aber traue ich, daher bin ich offen gegen Dich, gegen jene aber höflich. Vergiß auch Du nicht Deinen zuweilen unhöflichen - aber stets offenen Freund

Franz Michael Felder.

Keine