FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
124
20. Juli 1864

Geliebter Freund!

Vielleicht weißt Du noch nicht, wie einem Schriftsteller zu Mute ist, nachdem er sein letztes Wiesheu abgemäht und eigenhändig unter Dach und Fach gebracht hat, und wenn Du es allenfalls nicht weißt, so wirst Du diese Zeilen wenig­stens nicht ungerne lesen, um es aus denselben und zwischen denselben herauszubringen.

Vorigen Montag ist Pfarrer Stockmayer abgereist, und gewiß hätte ihm die ganze Gemeinde nachgeweint, wenn man Zeit dazu gehabt hätte, aber so prächtige Heutage wie jener Montag, sind heuer zu selten, um sie unbenutzt vorübergehen zu lassen. Doch, Spaß bei Seite! Der „Abtritt" des Pfarrers wird allgemein bedauert, bei der Abschiedspredigt blieb kaum ein Auge trocken. Ich will Dir hier nur kurz etwas aus der­selben mitteilen: „Scheiden von gewohnten Verhältnissen, Orten, Menschen ist hart, noch härter das Scheiden von lieben Menschen, am härtesten aber ist das Scheiden für den Vater von seinen Kindern, den Seelsorger von der Gemeinde, und nicht ohne Rührung betrete ich heute zum letzten Mal diese Kanzel, um euch allen ein herzliches Lebt wohl, auf Wieder­sehen im Himmel zuzurufen."

Ein Tränenstrom unterbrach hier und noch mehrmal seine Rede, und manches konnte er nur mit Mühe hervorbringen, sein Aussehen dabei war das eines Sterbenden. Als er fortfuhr am letzten Montag, soll er bis nach Bezau fast immer geweint haben.

Den guten Schoppernauern, die das sich selbst und ihrer Bravheit zuschreiben, nicht der Gemütsart oder Schwäche des Pfarrers, tut es ungemein wohl, daß er so hart fortgegangen, und nicht selten hört man: besser als hier bekommt er's nirgends.

Ich sollte als Gemeindemitglied das auch sagen, aber der Wahrheit zu Ehren muß doch erwähnt werden, daß 500 Fl. jährlich nicht viel Geld ist, und in Schoppernau sind die letzten Jahre drei Bauern wegen Milchfälschung bestraft wor­den und —. Doch genug; ich wollte von allem nichts sagen, wenn nur das Schnapstrinken, und alles was dazu gehört, nicht gar so zunähme!

Mein Heimatort ist dieses Jahr von einem viel größeren Unglück heimgesucht, als im letzten die Klauenseuche war. ­Ich habe vier Kühe und alle sind „leer", mein Nachbar hat fünf und es ging ihm nicht besser u.s.w. u.s.w. Der Schaden beläuft sich für mich auf etwa 120-150 Fl., der Schaden, den ganz Schoppernau durch dieses allgemeine „Arwuffo" hat, kann ohne Bedenken auf 5000.-, sage fünftausend Gulden geschätzt werden.

In Breitenalp hart neben Diodams bei Schoppernau ist letzte Woche auch die Klauenseuche wieder ausgebrochen. Wenn das Sprichwort: „Es wächst jedem Winter sein Heu", sich auch heuer bestätigen soll, so muß der Winter sehr kurz sein, so kurz und leicht eben wie das Heu. Doch nun will ich mit den Jeremiaden einmal aufhören.

Meine freien Stunden benütze ich dazu, die Bibel und be­sonders das Alte Testament zu lesen. Ich werde mit Dir noch oft davon reden, für jetzt nur so viel: Wenn mir auch die Gabe fehlt, in der Braut des hohen Liedes die kath. Kirche u.d.gl. zu sehen, so halte ich doch die Bibel für das „Buch der Bücher", für einen unerschöpflichen Schatz von Poesie, und lese sie immer lieber, wobei Herder mein kundiger Führer und Wegweiser ist.

Jochum befindet sich gegenwärtig in Wien, von wo ich am 7. d. M. ein Schreiben erhielt des Inhalts, daß er sich wohl befinde.

Statt des  Pfarrers  haben wir jetzt einen  Kapuziner, einen „Bruder Langsam", aber streng und zu streng, auf die Länge würde das kein Gut tun, aber es wird schon anders kommen, wenn  der  Pfarrer  Kohler von  Lech  kommt,  wie  man  sich allgemein fürchtet!

Im Vertrauen sage ich Dir: Nicht Kohler, nicht Tscholl, nicht Jenny und Feist, kurz der Pfarrer Rüscher von Stuben kommt, oder es muß sonderbar zugehen. Ich habe das ganze Gewebe gesehen und würde gern auch Dir einen Blick darin gönnen, wenn es - nicht in einem Brief zu - groß wäre.

Schwager Dokus soll recht merkwürdig brummig sein, daß die Teilung so weit hinaus geschoben wurde.

Nicht   bloß   im   Norden   Deutschlands,   sondern   auch   zu Schröcken   ist  Krieg,  Krieg zwischen  dem   Pfarrer und  der Gemeinde und Krieg überall, es fehlt am Geld und leider auch am guten Willen, jeder will regieren, niemand folgen, zählen will alles, aber keiner zahlen.

Der Gemeindevorsteher  in  Au  hat einen  dummen  Streich gemacht, der unsrige - mehrere.

Du   hast   nun   meinen   Heuerbrief  gelesen,   und   sehr  viel Lückenhaftes wirst Du gefunden haben. Ich erwarte aber, daß Du  mich recht bald (da ich jetzt freie Zeit habe)  einmal besuchest, und dann werde ich Dir über alles Auskunft geben. Ich hoffe, recht bald etwas von  Deinem  Buben zu  hören. Schreibe recht bald Deinem Freund

F. M. Felder.