FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
128
4. August 1864

Geliebter Freund!

Vor allem meinen aufrichtigsten Glückswunsch! Ich hätte Dir eigentlich ein Gratulations-Schreiben in Versen verfassen sol­len; doch warum diese mühsame Silbenstecherei? Möge das Leben Deines Buben so froh und heiter sein wie der Tag, der ihm sein Dasein gegeben, - heiterer als der Monat, in dem er zur Welt kam. Alles, was mir fehlt, wünsche ich ihm, und daß er doch durch sich selbst groß sei und alles andere entbehren könne. - Wann mein Weible zum Gottloben kommt, weiß ich nicht. Es ist gesund und hofft, in diesem Jahr Deinen Buben noch zu sehen. Jetzt hätten wir schon Zeit, einen Ausflug zu machen, aber ich erhielt gestern ein Schrei­ben von Stettner in Lindau, worin er mir mitteilt, daß er mich nächstens besuchen und mir einige in letzter Zeit eingegange­ne Besprechungen meines Nümmamüller mitbringen werde. Also daheim bleiben und - Bibel lesen! Du scheinst Dich zu wundern, daß ich so ganz aus dem Strom der Gegenwart hinweg auf eine sagenhafte Insel (nicht Jammersäule) ge­kommen [bin], aber Freund! auf der Insel ist's schön, alles blüht und lebt und ich hoffe da manches Korn, manches Gewächs zu finden und mitzunehmen, das auch an ändern Orten Früchte trägt, wenn mir das Mitnehmen dieser Körner und Pflanzen auch so beschwerlich werden sollte, als einst Hans Drake die - Einführung der Erdäpfel in Europa. Kurz, auf meiner Insel bin ich vergnügt, das ist das erste, dann habe ich auch einige papierne Schiffe, genannt: ,Deutsche Blätter', ,Franzeis Unterhaltungen', illustrierte Zeit', ,Glocke', ,Heimgarten', ,Gartenlaube', ,Allgemeine Zeitung' u.s.w., auf denen ich und zwar nicht ganz gefahrlos für meine innere Ruhe in die ärgsten Strudel hinausfahre und - doch diesmal sollst Du kein drei mehr bekommen! - Du verstehst schon, wie ich's meine. Mein letzter Brief wird Dir merkwürdig trok­ken vorgekommen sein? Ich hatte Dir in früheren Briefen immer von mir selbst geschrieben, das dachte ich nun, müßte doch endlich jedem zu viel werden, und da ich gerade in der verarbeitetesten Stimmung war, hatte ich Zeit zum Schreiben jenes Heuerbriefes, der Dir, wie es scheint, aufgefallen ist. Ich habe mich, um offen zu reden, seit den schönen Tagen des Nümmamüller vielleicht in manchem Stück geändert, aber, ich meine, die Hitze des Lebenssommers, die ersten zwei Julitage haben mich doch nicht dürr gemacht wie unsere Kirschbäume, sondern nur feuriger, reicher- wie die Trauben. Ich bedaure, daß die Krankheit der feinen Selbstsucht so um sich greift, erfreue mich aber stets an der Hoffnung, daß sie uns nie aufhalten, hindern, schwächen soll, für das allgemeine Beste zu wirken. Es ist wahr, im letzten Jahr kam ich so zu allerlei Gedanken, hätte zuweilen nicht ungern all mein Dich­ten und Trachten, alle meine Ideale um ein Malter Mehl und ein Paar gute Hosen hergegeben. Doch ich fand einen Freund an Dir, ich fand gute Menschen, wo ich sie nicht suchte, und das Elend jener Tage ist hoffentlich für immer vorbei. Du kennst mich genug, um zu wissen, daß es in meinem Leben Augenblicke gibt und gab, in denen ich nicht gehen, sondern nur springen kann, liegt mir dann etwas im Wege, so schlage ich meinen Kopf an, und das tut - weh.

Gebückt und mit dem Hut in der Hand Kommt man durchs ganze Land.

Das ist ein wahres Sprichwort; aber der Teufel, ich mag so nicht durchs ganze Land kommen. „Gerader Weg fahrt sicher." Das ist meine Losung. Die Abwehrsteine, an denen ich die Knie anstieß, werde ich mir schon merken. Ich rede hier, wie Du wohl merken wirst, nicht nur von meinem Leben, sondern auch von meinen Schriften. Nach meiner Ansicht wird der Nümmamüller von dem Roman ,Sonderlinge' bei weitem übertroffen werden. Ich werde viel frohe Stunden bei der Arbeit haben, weiter rechne ich jetzt nicht. Beim ersten Werke waren die Freuden des stillen Schaffens die schönsten. Mein jetziger Roman ist nicht das Werk eines Jahres, mein Leben mit allem gehörte dazu, ihn zu schreiben. Als ich ihn anfing, war der Plan für mich zu groß, aber nun ist er kleiner und ich - dem Freunde wird diese Rede nicht eitel scheinen - ich bin ein wenig größer, wenn auch noch lange nicht der Große geworden. Seit einem Jahr bin ich mit der Arbeit nicht vorgerückt, sondern habe nur das Geschriebene verändert, verkürzt und, ich meine, verbessert. Das was vor einem Jahr in 9 Kapiteln auf 32 Bogen stand, mußte machen so gut es konnte, damit es in 6 Kapiteln auf 26 Bogen Platz finde. Ich wollte, ich könnte Dir einige Kapitel vorlesen. Der Gedanke des Ganzen nach meiner jetzigen Auf­fassung ist: Es sind nicht die Großen, die die Fäden des Ge­schicks halten. Auch sie können zum Glück nicht alles, was sie wollen. Kampf und Streit, nicht Siegen und Unterliegen hilft vorwärts. Doch ich sehe, daß sich das im kurzen nicht so leicht sagen läßt und füge daher nur noch bei: Ein Geistlicher und ein Weltlicher, beide wollen, keiner wie der andere, die Welt bessern, daraus entsteht „Auerismus und Schoppern­auerhaftigkeit". Don Quichote sagt: Mancher wird glauben zu schieben und wird geschoben werden und - der Bregen­zerwälder sagt: Jesus wählte darum zwölf Apostel, weil er meinte, einer könne mitsamt dem Heiligen Geist nicht alles allein richten und machen, wie es sein sollte. - Das war so kurz als möglich der Inhalt, das Ganze wird aber meine An­sichten aussprechen, nicht in Abhandlungen und Reflexionen, sondern durch den Verlauf einer Dorfgeschichte in des Worts verwegenster Bedeutung. Nicht blasse Mückenfänger und Grillenmännchen, sondern Männer fest und starr wie unsere Berge, zwischen denen die Mädchen wie Blumenhügel stehen, wirst Du finden, Kämpfe sollst Du sehen, die ich selbst und meine Freunde und Freundinnen, die Sonderlinge, gekämpft haben, und doch wird das Ganze nicht Porträtmalerei sein. Ich bitte Dich, mir Deine Gedanken über meine Gedanken bald, recht bald mitzuteilen.

Die letzte Woche war ich mit meinem Wible auf Krumbach. Jok hat von 46 Kühen die Milch gekauft und das Sennen gelernt, er hat große Lust am Ding und es scheint, ob er in Zukunft die ruhigere Sennerei fast lieber als den Viehhandel betreiben möchte. Gesennt wird bei „zsch' Leouosa". Pius mit den Kühen lebt auf der Hochalp frisch und gesund. Er hat zwei Knechte, wovon aber der eine bisher immer Heuer­dienste zu versehen hatte. Auf der Hochalp ist's Ossianisch prächtig. Als wir kaum droben in der Hütte waren, krachte, zischte, rasselte es, als wie im Nümmamüller Seite 144. Ein Gewitter, mit Hagel verziert, verderbte mir die Freude, in der Alp herumzulaufen, doch das meiste haben wir gesehen - und so ein Gewitter ist auch etwas. In der Hütte wurde uns hungrigen Kaffeemenschen frische Butter, Milch, Kaffee, und was für einer, vorgestellt und:

Ich bin zu alt, um bloß zu spielen, Zu jung, um

ohne Wunsch zu sein.

In den meisten Alpen hat man wenig Milch, dafür aber soll sie besonders ergiebig sein, was die, welche auf eigene Rechnung sennen, sehr hoch anschlagen können. Sonst habe ich auf Krumbach nicht viel Neues erfahren. Das Bauen zu Schröcken geht der schlechten Witterung wegen sehr lang­sam. Auch scheint der Hl. Geist des Friedens zu fehlen, obwohl man eine Kirche baut. Mich ermahnt diese katholische Kirche fast an die katholische Kirche, wobei aber der Um­stand, daß der Pfarrer am 2. Juli davonlief, nichts zu tun hat. (Der Pfarrer kam nicht weiter als nach Andelsbuch - ja so! Hast Du auch von dem dortigen Streit wegen einer Kapelle gehört??) Im Schröcken will alles eine Kirche, aber man will sie nicht auf die gleiche Art gebaut. Zuerst gab es Streit, weil der Pfarrer und einige die Stiege zu der zweiten Empore in, die ändern aber vor der Kirche haben wollten. Mit dem Wirts­haus, welches die Oberhauser bauen, geht's besser. Dem Streit Liebigs wirst Du sicher mit so großem Interesse als ich gefolgt sein. Die Norddeutschen sind selbstverständlich auf Liebigs Seite. Hübsch und gründlich war die im letzten Winter in der Allg. Zeitung erschienene Abhandlung von Riehl ,Die politische Partei'. Ich habe die Beilagen hübsch beisammen, da ich die Zeitung mit dem Wirt von Schröcken halte, der sie doch nur verpacken würde. Das Brockhausische Lexikon leistet mir, dem Ungeschulten, sehr gute Dienste. Ich kann nun auch wissenschaftliche Werke mit Interesse lesen und habe mich vor Fachbüchern nicht mehr so ängstlich zu hüten. Manche Artikel sind meisterhaft - alle ganz objektiv gehalten. Auch uns Katholiken läßt er leben, während andere Werke dieser Art mit allem Glauben aufräumen wollen.

Jetzt wieder einmal etwas Geistliches.

Der Pfarrer ist fort, das ist nicht gut. Ein Kapuziner ist da, das ist traurig. Pater Zeno ist da, das ist das traurigste. Wer ist Pater Zeno?, wirst Du fragen. P. Z. ist ein langes, 28 Jahre altes, krankhaft aussehendes Stück Mann, so groß ist er, daß er in meinem Studierzimmer den Kopf überall anschlagen würde! Es ist schade! Schade um Schoppernau. Stockmayr hatte wenigstens den Ablaßunfug etwas abgeschafft, hatte dem Aberglauben gewehrt und die Leute nicht mit verschim­melten Klosterbrocken und dünnem Weihwasser, sondern mit gesunder Kost genährt. Jetzt pfeift's anders! Pater Z. hält die Sünder bei den Haaren über den Rachen der Hölle und überschüttet sie mit Weihwasser, bedeckt sie mit dem Ska­pulier und macht Kreuze, damit sie nicht verbrennen. Wer ist ein Sünder? Alles! Todsünde über Todsünde. In den Jesuitenpredigten ist wenigstens Logik, aber hier ist - Alfons von Liguori. Drum noch einmal: Schade um Schoppernau! Schulze-Delitzsch wird in der Gartenlaube gegen Ketteier auf­treten. In den ,Deutschen Blättern' 29-30 ist ein hübscher Aufsatz ,Ein Imortellenkranz' von Prof. Häfele. Ich habe in letzter Zeit wieder einen Sonderling kennengelernt, der von Schoppernau gebürtig, 18 Jahr alt und seines Zeichens ein Schneider ist. Ich sage Dir heut nicht mehr über ihn, stelle Dir den jungen Wilhelm Meister vor und Du hast ihn beinahe. Ich hoffe, Dir später recht viel Gutes von ihm mitteilen zu können. Ich bitte Dich, mich recht bald wieder mit einem Brief zu erfreuen.

Mit tausend Grüßen an Dich und die lieben Deinigen Dein treuer Freund

Franz Michael Felder.