FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
135
24. Oktober 1864

Geliebtester Freund!

„Wir haben einander schon ordentlich kennengelernt und ich sehe wohl, daß ganz gut mit ihm auszukommen ist!" - So hörte ich vor zwei Jahren am Morgen nach der Hochzeit eine Tannbergerin sagen. Mir will diese Rede nicht mehr aus dem Kopfe, seit ich täglich lange Lobreden über unsern Pfarrer höre. Seine Antrittsrede war wirklich gut, später aber hörte ich zwei Vorträge von ihm, denen es hie und da anzu­merken war, daß er sich nicht mehr zwei Monate dazu vorbereiten konnte. Das freundliche Wesen des Pfarrers tut jedem wohl, und ich glaube fast, seine Bemühungen um neue Kirchenglocken werden nicht vergebens sein. Nun, neue Besen kehren gut, aber - die alten wissen die Winkel besser. Klug war es von ihm, daß er an den nun vorgenommenen Wahlen sich in keiner Weise beteiligte, sondern im Ofen­winkel mit Bopp von Lindau das Publikum vorstellte.

Ja richtig von dem Wählen,
Da laß Dir was erzählen.

Ich habe Dir im letzten Schreiben mitgeteilt, daß ich von den Wahlen etwas mehr als früher erwarte, weil die Wähler in drei „Körper" verteilt sind. Zum Teil hat sich meine Erwartung bestätigt. Um trockene Zahlen zu vermeiden, nenne ich hier den dritten Wahlkörper „Die Spitzigen", den zweiten „Die Dicken" und den ersten „Die Großen". Nun ist - um mit dem Pfarrer zu reden - die Sache so: Die Dicken, d. h. der Mittel­stand, oder die ureigentliche Schoppernauerhaftigkeit, gefällt mir am besten. Bei zwei Wahlklassen würden aber die guten Dicken teils von den Spitzigen überschrieen, teils von den Großen erdrückt worden sein. So aber geschah folgendes: In derselben Zeit ging der Vorsteher in die Schule, um da aufzuzeichnen diejenigen, die wählen würden die Spitzigen. Zwei der Männer kamen (Jodok heißen die beiden Unver­geßlichen) und halfen ihm verkürzen die Zeit, bis vorüber war die Stunde der Gnade. Und siehe, kein Mann mehr kam, denn der Herr hatte prächtiges Wetter aufgehen lassen über Israel, damit die Menschen ausgratzeten ihre Wälder, niederhaueten die jungen Tannen*), umgrüben ihre Erdäpfel und den Tann­bergern abhülfen von ihren bösen Wegen. Als nun die Stunde des Harrens um war, da tat der Vorsteher den Mund auf und sprach: „Wir sind doch noch eine zufriedene Gemeinde." Die Wahl wurde aber auf den Sonntag verschoben. Die Dicken hatten sich zwar besser eingestellt, aber die Spitzigen hatten den ganzen Spaß verdorben. Der Sonntag kam. Von der Kanzel aus wurde die Wahl publiziert und den Spitzigen ans Herz gelegt, „recht zahlreich zu erscheinen". Die Ausrede, man lasse sie nichts gelten, sei, wie das Ausbleiben, eine Schande. Nun ein Wort im Vertrauen: Meinst Du, daß das nur Gleichgültigkeit war? Nein, sage ich, hätte man das Volk den Vorsteher „machen lassen", so wäre alles ganz anders gekommen.

Um den Pfarrer nicht zu beleidigen und ihre verdammte „Schuldigkeit" zu erfüllen, erschienen die Spitzigen ziemlich zahlreich, d. h. von 81 Mann kamen 31, und wählten? Ja mein Gott! Wer wurde da alles genannt, auch Dein Freund bekam sechs Stimmen - von guten Freunden. Vier der großen und größten. Selbst der wahre Armenvater Koarode-Buob bekam nur zwei Stimmen. Hier sind die Namen der ersten vier:

Der Alte (Vorsteher)
Der Neue ditto
Rößlewirt
Der kleine Willi.

Die Dicken erschienen zahlreicher. Außer mir waren 18 Wäh­ler beisammen, es wurden von ihnen gewählt:
Franz Michel Felder mit 16 Stimmen
Michel Willam, Adlerwirt, mit 12 Stimmen
Joh. Moosbrugger mit 8 Stimmen
Joh. Josef Feurstein mit 7 Stimmen.

Also zwei, die sich bisher ordentlich hielten. Den Adlerwirt habe ich Dir schon früher in mancher Hinsicht gelobt. Ich und Feurstein sind „Neufänge". Die Großen? Nun, die beißen einander nie, sagt der Wälder. Es waren von allen Alpen und Vorsäßen nur Hinterhopfreben vertreten. Man wählte sich gegenseitig aus Höflichkeit u. dgl. und ich mag Dir das Re­sultat gar nicht sagen. Also in Summa:

Die Wahl hat mich nicht befriedigt. Ich werde wenigstens acht Gegner, zwei Gleichgültige und einen Anhänger haben, der nichts so reichlich hat als guten Willen. Ein Bäuerlein kam zu einem Schneider und sagte: Da hab ich ein altes Schaffell, mache mir ein paar neue hirschlederne Hosen daraus. Ist das klug?

Gestern sagte der Vorsteher: In acht Tagen müßt Ihr aus den heute Gewählten einen klugen, volksfreundlichen Mann, der das Rechte weiß und will, zum Vorsteher machen. - Einen Mann, der das Vertrauen aller Gemeindemitglieder hat und verdient. - Ist das klüger? -

Ist's besser, wenn Albrecht weg und ein anderer an den Platz kommt? Gestern sagte ein Schoppernauer: Wozu wollt ihr doch neue Vorsteher? Ihr Dummhüte! Dümmere als die jetzigen kann man nicht brauchen und klügere habt ihr keine. Aber wie ich hörte, will Albrecht durchaus nicht mehr, und ich verarge dem Geplagten das nicht. Und wer nun?, so frage ich, so ganz Schoppernau. Feurstein? Gut, aber schwach, richtige Ansicht, aber kein Mut. Willam? Herzhaft, aber er ließe leichter den Feurstein reden und handeln. Ich wäre fast für Feurstein, aber Willam wird wahrscheinlich Vorsteher, wenn Albrecht durchaus Friede haben will, um auf seinen Lorbeern auszuruhen.

Den Schulze-Delitzsch habe ich nun bis zum letzten Kapitel gelesen. Ich habe darin manches angestrichen, das nach meiner Ansicht zu seinem Zweck gar nicht oder anders gesagt werden sollte. Lege mir es nicht als Gleichgültigkeit aus, daß mich das Gähnen ankommt, sobald ich nur von dem Buche reden soll. Es ist darin so viel von Aufklärung die Rede, daß es schwachen Augen zu hell wird, so rascher Fortschritt, daß es mir schwindelt, z. B. Seite 5: „Denn Arbeit ist eben jede in Voraussicht künftiger Bedürfnisse auf deren Befriedi­gung gerichtete planmäßige Tätigkeit." - Jede andere Tätigkeit nennt Schulze tierisch. Da ist mir Riehl doch lieber. Wenn Dein Bastiat nicht kurzweiliger wird, so weiß ich nicht, ob ich ihn werde bis zu Ende bringen können. Doch nach dem Heft über ,Die Presse' zu schließen, habe ich nichts zu fürchten. Bastiat, sagt das Lexikon, war geboren 1802, es werden mehrere Schriften angeführt, die ins Deutsche über­setzt wurden. Die bedeutendste derselben sei: ‚Volkswirt­schaftliche Harmonien' in Prince Smiths Nationalökonomi­scher Bibliothek (Band 1, Berlin 1850). Bastiat war der Sohn einer angesehenen Kaufmannsfamilie und wird im Lexikon „einer der ausgezeichnetsten neuern Nationalökonomen Frankreichs" genannt.

Dein Bruder, der Lehrer, ist in Au zum Ausschuß gewählt, und man sagt hie und da, er werde Vorsteher werden(?) Der „Pächter", ein Heiratslustiger, von dem ich Dir im letzten Sommer erzählte (wie ihm in Sibratsgfäll ein Heimatschein verweigert wurde, damit er nicht nach Rom gehe) will nun durchaus ans Brett. Ich habe gehört, er beabsichtige, bei Dir Rat und Hilfe zu suchen. Er ist ein sehr gemeiner Mensch und seiner Geliebten vollkommen würdig. Sonst weiß ich nicht viel Neues. Etwa am Freitag ziehen wir nach Hopfreben. Nun aber glaube ich denn doch auch von Dir wieder einmal einen Brief erwarten zu dürfen, und zwar 1. Eine Antwort auf meine Briefe, 2.  Nachrichten von  Dir selbst, 3.  Dein Manuskript, 4. Deinen allgemein trotz Muos mager genannten Julius u.s.w. Mit den Sonderlingen geht's zwar nicht mehr vorwärts, denn ich bin fast nie daheim als abends. Arbeit alle Hände voll! In Hopfreben wird's hoffentlich besser werden. Nun ist der Bogen fertig, und ich werde das Übrige für den nächsten Brief sparen. Lebe wohl und vergiß nicht Deinen mit Ehren und Amt ausgezeichneten Gemeindeausschuß - und Freund

F. M. Felder,

welcher jedenfalls Achtung und Vertrauen verdient.

*) Anmerkung. In Schoppernau sollte der schöne Gemeindewald im Bahn­holz unter dem Weg, meistens aus jungem, neun bis zwölf Zoll dickem Holz und kleineren Stämmen bestehend, niedergehauen und - ohne Wissen und Willen des Försters und der Gemeinde niedergehauen wer­den. Es wurde, leider zu spät, vom Förster auf seiner Durchreise gesehen und streng verboten. Die Nase wird folgen. Da hier noch Raum ist, so benütze ich ihn, um Dir mitzuteilen, daß im Unterdorf mehrere neue Brunnen gelegt werden, wozu die jungen Stäm­me im Bahnholz prächtig passen und wohlfeil sind.