FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
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1. Januar 1865

Lieber - lang nicht mehr schreibender Freund! Ich hoffe doch, daß Du von dem Falle, der ein Unfall genannt werden muß, da es ja keinen Zufall gibt, wieder hergestellt seiest. Es ist gut, wenn der stolz Dahinsausende zuweilen an die Hinfälligkeit alles Irdischen und auch der neuen Kleider erinnert wird. Wie ist's denn gewesen, wenn man die Geschichte aus dem blauen Dunst herausrückt, der sie in der Entfernung umgibt?

Bruder Jakob will also wagen! Mich wundert's, daß sich unsere Hecheln noch nicht darüber hergemacht haben. Denn gehechelt wird trotz der „heiligen Gnadenzeit" recht gotts­erbärmlich. Nebenbei sind bei uns die Generalbeichten ­Mode geworden. Nachdem man vernahm, daß der Pfarrer die Beichtenden aufschreibt, will natürlich jede und fast jeder ins Buch des Lebens eingetragen werden. Jetzt wird von der Kanzel herab zuweilen ein Kleingewehrfeuer eröffnet gegen eine Richtung, die man hier für die meinige hält. Besonders bunt war's am Bernhardi-Fest in Au; ich bekam genug davon zu hören, wenn ich auch nicht dabei war, und kann mir ganz gut erklären, warum jetzt auch „Karlchen die Messer wetzt". Gestern hat sich unser Pfarrer zum Zensor aufgeworfen: „Leset nur gute Bücher und bei Unterhaltungsschriften und solchen Sachen, die ihr selbst nicht kennt, fragt den Pfarrer." Großer Schulze!

Nun wurde auch die Herz-Jesu-Bruderschaft hier eingeführt und zwar mit folgenden Worten: „Es ist das eine der nütz­lichsten und vorteilhaftesten Bruderschaften, indem man nur wenig beten muß und doch sehr viele Ablässe gewinnt. Ich selbst bin schon als Student ihr Mitglied geworden." Die Familie Rüscher stammt wahrscheinlich von Abraham, der Beweis wäre wenigstens zu wagen.

Von den Bruderschaften komme ich zu den Verwandtschaften. Leouo Familie ist sehr herabgekommen. Die Schwester vom Bäbele, das Marile, wird Mutter, und Leo Ritter Vater; ohne die Verwandtschaft zu berücksichtigen, haben die beiden sich zusammen gefunden. Das ist für den stolzen Simma ein harter Schlag und es herrschet Wehklagen in Israel. In die aus der Geschichte erwachsenen Schwatzereien ist auch das Dökterle verwickelt worden. Das wird dem Studentenhaften Tröpfle wohl noch öfter begegnen.

Koarado Motol ist vorgestern heimgekommen, sie sieht nicht besser als früher und erklärt sich das aus ihrer Abneigung gegen Dr. Keßler. „Wäre der Narr nicht gekommen, so stünde es anders und besser", sagte sie.

Vom Sozialdemokrat hab ich nun schon sieben Wochen keine Nummer mehr erhalten und ich hätte Lust, schrecklich auf­zubegehren. Wenn ich jährlich der Buchhandlung so und so viele Gulden zahle, will ich dafür doch ordentlich bedient sein. Soll ich Dir von den Heften von Westermann und Unsere Zeit die Fortsetzung schicken? John Stuart Mill ,Über die Freiheit' habe ich fast gelesen. Es ist ein schön geschriebenes Werk, das aber wenig Neues enthält. Ketteier hat recht: „Nichts ist heilig und unantastbar als der Geldsack.“ Lassalles Schrift: Die Wissenschaft und der Arbeiter ist mehr wert als diese ganze Freiheit, in der es heißt (Rede und Preßfreiheit), daß man nicht vor einem hungrigen Pöbel von den „allge­meinen Menschenrechten" redet u.s.w., versteht sich von selbst, weil dadurch die Rechte eines ändern in Gefahr

kämen und-------- .

Die Gartenlaube fängt an, sich demokratisch zu nennen. Das Wort ist nun einmal Mode wie die Generalbeicht.

Verehrtester Herr Bezirksamtsadjunkt!

An den drei, das Dorf Schoppernau östlich, südlich und westlich umgebenden Bächen (Bettlerbach, Aach und Schran­ne) mußte vor etwa 50 Jahren neu „gewührt" werden und die Grundbesitzer beschlossen, es gemeinsam zu tun, statt daß vorher die Oberdörfler den Bettlerbach, die „Feldler" die Aach und die Riederauer die Schranne übernommen hatten. ­Frage: Hätte da nicht auch die zu den Bächen gehörende Waldung Gemeingut werden sollen? Doch das ist nun einmal nicht geschehen.

Jetzt wird der Buchwald abgeholzt. Die Wuhrkosten werden dadurch um mehr als die Hälfte vermehrt. Auch die Gschwin­der müssen mit dran, obwohl sie vom Abholzen des Buch­waldes keinen Vorteil haben. Die Gschwinder sagen: Man muß entweder den Buchwald als natürliches Wuhr stehen lassen, oder wir machen uns von den Feldlern los und über­nehmen wieder den Bettlerbach.

So, fahren die Feldler auf, nachdem wir euch, vielleicht für immer, geholfen haben, wollt ihr uns verlassen. Nein, ant­worte ich, so lange der Wald stand, fiel das keinem ein, fünfzig Jahre haben wir euch geholfen. Ihr selbst ändert die Sache, indem ihr unsere Verpflichtung vergrößern wollt, ohne uns ein Recht zuzugestehen. -

Ich stehe bei den Gschwindern, obwohl ich ein Feldler bin, denn ich gebe ihnen recht.

Was sagen Sie? Bitte um baldige klare und gründliche Ant­wort.

Die Sonderlinge liegen verlassen in einem Winkel. In Hopf­reben hoffe ich wieder etwas mehr Zeit für die Tröpfe zu gewinnen! Klausmelker ist bereits daheim und macht sich durch sein berechnetes Wesen beim Vater und bei ähnlichen Menschen beliebt.

Von ändern Dorfneuigkeiten will ich heute schweigen, da doch nicht anzunehmen ist, daß Du das Heimweh habest, und also kein Mittel gegen dasselbe angewendet werden darf. Ich bin gesund und man sagt mir, ich hätte jahrelang nie so gut ausgesehen wie jetzt. Daß ich fleißig lese, kannst Du Dir denken, ich hoffe aber, daß mich die Bücher nicht mehr aushöhlen werden. In der Romanzeitung ist eine hübsche Arbeit von einem in Bregenz wohnenden, sich Robert Byr nennenden Literaten, er heißt eigentlich, wie ich anderwärts erfuhr, Bayer und ist ein pensionierter Militärist, der Gründe hat, seinen Namen bei solchen Arbeiten nicht zu nennen. Am Tannberg wurden während des Jubiläums von den dortigen Geistlichen „Missionspredigten" gehalten. Sonderbar ist's, daß während der Standespredigt für Jünglinge, Mädchen, Weiber, Männer die Kirchtüre geschlossen wurde. Hier wur­den allsonntäglich zwei Predigten gehalten und zum Blumen­lesen wäre Gelegenheit gewesen. Ich zog es aber vor, nach­mittags daheim zu bleiben. Lasse mir alle herzlich grüßen von Deinem Freunde

F. M. Felder

Keine