FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
150
30. Juli 1865

Geliebter Freund!

Vor allem meinen herzlichsten Glückswunsch. Möge auch Euer Mädchen so viel Freude machen als ich von meinem Mikle wünsche und hoffe!

Schon hält' ich fast zu glauben angefangen, Du seiest beim Lesen meiner Sonderlinge eingeschlafen und seitdem nimmer wieder erwacht. Da endlich kommt ein Brief - und zwar ein dicker, ich freue mich, wie nur ich mich freuen kann über einen Brief- und einen von Dir.

Ich lese und - meine Freude wächst.

Wird doch glücklicherweise der zweite Teil beinahe alles das bringen, was Du Dir wünschest, wie Du schon aus dem Schlüsse des ersten ersehen kannst. Der erste Teil führte die Personen und Verhältnisse vor, in kurzen, beinahe zusam­mengewachsenen Abteilungen leitet er die erst am Schlüsse mehr Einheit gewinnende Handlung ein, er tat also - ohne Ruhm zu melden - alles, was der erste Teil eines Romans tun kann. Der Schluß (letztes Kapitel) läßt auch den Schluß des Ganzen ahnen. -

Nur habe ich folgendes zu bemerken:

Klausmelker ist noch gar nicht aufgetreten. Erst sein per­sönliches Erscheinen wird zeigen, wie unverderbt? er ist und wie wahr? er in jenem Briefe sich darstellte. Franz steht schon jetzt nicht mehr beim Vater und er wird, dank der Mutter und dem Sennen - Volk - sich immer mehr von ihm entfernen.

Barthle und Sepp - ist er nicht ein wahrer Fortschrittler in mancher Beziehung - werden auf den Kopf gestellt, sie müssen ihr Wesen selbst erkennen, um davor zu erschrecken, sie brauchen ja nur durchgeführt zu werden und sie stellen sich ihr Armutszeugnis selbst aus.

Das alles nun in Gang zu bringen, ist meine Sache, und ich hoffe damit fertig zu werden, denn schon ist wieder manche Schwierigkeit beseitigt; drei Kapitel des zweiten Bandes sind geschrieben und der Plan bereits zu Ende gezeichnet. Also bis übers Jahr wirst Du klatschen können. Offen gesagt, würdest Du sicher im Werke nicht einen so heillos trockenen, unpoetischen Schluß (2 mal 2 ist 4) geahnt und gefürchtet haben, wenn Du nicht die Ehre hättest, mich persönlich zu kennen.

Merke also: „Der Dichter gibt in seinem Werke nicht sich selbst, sondern nur das Beste von ihm.'

Auf Meusburgers Bemerkungen bin ich sehr begierig. Laß mir ihn grüßen. Und teile ihm, wenn Du willst, das Obige mit. Die Schröckner werden, wie ich durch Zufall erfuhr, ihre Kirchenbau-Angelegenheit auf dem Landtag (?) bringen. Ich habe das - nach allem zu urteilen - von Canahl veranlaßte Schriftstück gelesen und teile es Dir nur mit, weil es Dich vielleicht interessiert zu erfahren, daß es seine Spitze nicht nur gegen den Dekan, sondern gegen Herrn Mathis in Bezau kehrt.

Auf den Sack schlägt man, den Esel meint man.

Schiller.

Doktor Hildebrand in Leipzig hat mir einen Bogen des Grimm'schen Wörterbuchs zugeschickt, in welchem eine Stelle aus meinem Nümmamüller zitiert ist.

Die Reisenden besuchen mich jetzt öfter als mir lieb ist. Ich gehöre eben auch zum Bregenzerwald, wie etwa ein Berg, nur nicht gerade zu dessen Schönheiten. Bedauert hab ich, daß mich der Buchhändler Purfürst von Leipzig nicht zu Hause traf, jetzt aber ist's mir ganz recht. In letzter Zeit hab ich auch einige Kleinigkeiten zusammen­gestellt und an die Redaktion der - Fliegenden Blätter ge­schickt, es sind im ganzen 12 Stücke, davon das größte und bedeutendste den Titel führt: ,Auch eine Dorfgeschichte', und worin der diese Dichtungsgattung nach meiner Ansicht unschön machende Realismus lächerlich gemacht wird. Die Dorfgeschichte hat nämlich nach meiner Ansicht nicht die Aufgabe, den Bauern dem Kulturvolk gegenüberzustellen, sondern sie soll in den Verkrüppeltesten Gestalten noch das Allgemein-Menschliche zum Ausdruck kommen lassen. (Siehe Klausmelkers Brief, den Du - nebenbei gesagt - später psychologisch nicht mehr gar so unwahr finden dürftest, in welchem Falle dann nur noch das frisch gewaschene Hemd wieder beschmutzt werden dürfte, wogegen ich aber viel­leicht noch Einwendungen machen werde.) Den Lassalle, so wie die neuesten Nummern des jetzt täglich erscheinenden Sozialdemokrat werd ich Dir nächstens über­senden, da ich in diesem Sommer wahrscheinlich nicht Zeit habe, Dich mit dem Wible zu besuchen. Werden wir Dich nicht einmal hier sehen? Du wirst Deinen Freund an Leib und Seele gesund und so wohlauf wie lang nicht mehr finden. Interessant war mir, in der Allgemeinen Zeitung zu lesen, daß auch Huber in München über die Ergebnisse der Lassalleschen Lehre denkt wie ich, daß er darin ein Streben nach Herrschaft der Arbeit, nicht nur des Arbeiters findet, indem jeder Arbei­ter Unternehmer wird, auch die neueste Nummer des Sozial­demokrat scheint das sagen zu wollen mit den Worten: Auch dem Schwachen, Talentlosen müsse geholfen sein und es werde ihm geholfen, wenn er teilnehme an dem, worauf nun einmal jeder Mensch Rechte habe.

Ich erwarte eine baldige Antwort, womöglich mit Meusbur­gers Bemerkungen, es tut einem wohl, auch fremde Ansichten zu hören über etwas, in was man sich zu tief hineingelebt hat, um noch darüber urteilen zu können.

Es dunkelt, und morgen geht's wieder ins Bergheu, drum eilte ich so mit diesem Briefe, wie Stil und Schrift Dir zur Genüge bewiesen haben werden. Du sahst, daß ich zwei Mal auf meine Sonderlinge zurückkam, wodurch ich mich aber nicht als einen Sonderling, sondern nur als einen echten Literaten zeigte, der wie jeder Mensch am liebsten vom Seinigen redet. Von dem, was ich auch das Meinige nenne, ist das Beste zu sagen. Das Wible ist gesund und zieht und nährt ein gesundes Mikle, Kaspar lernt reden und Jakob fragt oft mehr, als ich zu beantworten weiß. Die Heuernte war vom besten Wetter begünstigt, ist aber sehr ärmlich ausgefallen. Ein Lechthaler Kapitalist (Schwarz) bringt die Wälder sehr in Verlegenheit, indem er etwa 80.000 Fl. aufkündet, auch ich werde für 400 Fl. zu sorgen haben.

Der neue - 27jährige - Doktor macht sich schnell beliebt, sonst weiß ich nicht viel von ihm, obwohl ich ihn schon mehrere Male antraf. Die beiden neuverheirateten Auerinnen sollen sich - wie sie jedem sagen, der es hören will - in ihrer neuen Heimat recht glücklich fühlen.

Doch ich komme auf Personen und Sachen, deren Erwähnung zur Genüge beweist, daß es mit meinem Latein zu Ende ist, und von den Sonderlingen mag ich auch nicht mehr anfangen. Also  lebe  wohl  und  erfreue zum  Ersatz  für  Dein   langes Schweigen recht bald wieder mit einem Briefe Deinen treuen Freund

Franz M. Felder

Auch eine Dorfgeschichte

Es war gerade am Jahrestag der großen Schlägerei beim Adlerwirt, nämlich am Bonifaziustag, an welchem die Weiber nach der Messe ihre Kaffeebohnen an die Sonne zu stellen pflegen, damit sie einen guten Geruch bekommen; auch war der Tag just wieder so herbstmäßig unfreundlich und kalt wie im letzten Jahre, so daß die Vögel ihre neugelernten Früh­lingslieder gar nicht zu singen wagten.

Ein deutlicher Beweis dafür, wie sehr die Naturerscheinungen auf den Menschengeist wirken, wie sie das Tun und Lassen noch unverkünstelter Naturmenschen bestimmen, ist der Um­stand, daß heute mehrere Bauern in den das Dorf wie ein grüner Kranz umschließenden Tannenwald gingen, um für den nächsten Winter das Brennholz zu fällen; also eine Arbeit zu verrichten, die sonst immer für den Herbst aufgespart wurde.

Im Dorfe war es so still, daß man die Schläge der Holzhacker im Walde draußen hätte zählen können. Das Geschrei der Hähne und das Gegacker der Hennen war verstummt, die Ställe waren schon geschlossen, und wer sich nicht im Wald oder sonst irgendwo befand, war zur Siebenuhrmesse ge­gangen.

Ein großer Mann in kurzen Lederhosen und Strümpfen, denen man es noch ganz gut ansah, daß sie weiß sein sollten, schritt langsam zum Dorfe hinaus. Es war Theresen-Tonis-Sepps­Leonhards-Buben Bub.

Zwar war er kein Bub mehr; sein erstes Weib ruhte schon draußen auf dem Friedhof, und Greth, sein jetziges Haus­kreuz, hatte ihm eben gesagt, daß er „ein käsefauler Mensch sei, der da müßig im Dorfe herumstolpere, während sonst alles im Schweiße des Angesichtes Brot esse". Bub bezeichnet man häufig den einzigen Sohn, der durch keinen Namen von einem Bruder unterschieden werden muß, also den alleinigen Erben, den Wohlhabenden. Als Theresen-Tonis-Sepps-Leonhards-Buben  Bub  durch  den Wald neben dem Dorfe schritt und an gar nichts dachte, fiel hart neben ihm eine tödlich-getroffene Tanne laut schreiend und krachend zu Boden.

Theresen-Tonis-Sepps-Leonhards-Buben Bub - den wir der Kürze wegen von jetzt an Bub nennen wollen - lief, so schnell er konnte und schneller als es von einem alleinigen Erben des schönsten Anwesens im Dorf zu erwarten war, denn er fürchtete, erschlagen zu werden, und beschloß daher zu fliehen. Ja, dieses Gefühl der Furcht war bei diesem sonst gefühllosen Bauern so groß, daß er die zu seiner Rechten sich auftuenden Abgründe gar nicht mehr beachtete - und leider auch die vielen Steine des Anstoßes achtete er nicht, die vor ihm auf dem Wege lagen.

Obacht auf den Tritt,

Daß stolperst nit,

ist eine Bauernregel, die jeder Vater seinem Sohne einschärft. Auch der Bub hatte sie oft und oft gehört, aber wie noch so manches andere längst wieder vergessen; er gab nicht Obacht, daher stolperte er.

Ja, er stolperte und fiel über den Weg hinaus und ihm war so weh ums rechte Knie herum, daß er gar nicht mehr auf­stehen konnte. Nur noch schreien konnte er, und zwar lauter als das Waldbächlein rauschte und lauter als die Holzsägen rasselten.

Die Vögel flogen erschrocken hinweg; die nächsten Arbeiter eilten erschrocken herzu, zogen den Verunglückten herauf und machten schnell eine Tragbahre aus Tannästen, um den kein Mensch wußte wie schwer Verwundeten recht schnell heim unter die zärtliche Pflege seines Weibes zu bringen. -

Ereignisse gleichen oft Schneeballen. An und für sich sind sie nicht gefährlich, aber auf dem Wege vom Wald ins Dorf können sie zur Lawine werden. So war es auch diesmal. Wie unbedeutend auch die Verletzung war, es hieß im Dorfe gleich: „Theresen u.s.w. Bub hat ein Bein gebrochen!" Und der Dorfarzt war bei weitem nicht der Einzige, der lächelnd die möglichen Folgen dieses „interessanten Falles" berech­nete. Der Seelenhirt des Ortes aber dachte sogleich an des Un­glücklichen unglückliches Weib und er eilte, um ihm selbst diesen gallenbittern Tropfen im Weine der Religion beizu­bringen.

Vor der Haustür hielt er eine wunderschöne Vorrede; dann in die Stube tretend, sagte er: „Also fasse dich und höre den Willen Gottes: dein Mann hat ein Bein gebrochen." „Nicht wahr, es war das Rechte?", fragte das gottergebene Weib.

„Ja, ich glaube", sagte der Pfarrer. „Das hab ich gedacht." „Warum?"

„Nun seht, der Klotz lag den ganzen Winter beim Ofen, und immer auf einer Seite, immer mit dem rechten Bein hart am heißen Stein, da mußte der Fuß zu dürr werden und brechen bei nächster Gelegenheit. Da hat ers nun! Man muß sich halt auf der Welt zu drehen und zu wenden wissen!"

Auf einem Friedhofe Vorarlbergs war noch vor wenigen Jah­ren folgende Grabschrift zu lesen:

Hier ruht

Sebastian Gut

Der auf Weib und Kind thut

Warten

In diesem Rosengarten.

Im Leben war er roth wie Zinnober

Und starb am 28sten Oktober,

Am 30sten war er eine Leiche

Und jetzt ist er totenbleiche.

Bauernjunge: „Aber mein Vater kennt doch gar keine Scho­nung und hat keine Rücksicht. Heuen müssen ist recht; aber er will immer grad bei der allerärgsten Hitz heuen!" „Aber diese wahrhaft prachtvolle  Hauseinrichtung!  ich  be­wundere nur die - Alles Silber!?"

Ja,  in  meinem   Hause  ist alles Silber,  sogar  der  kupferne Waschkessel.

Aus einer Rezension: Jedermann wird dies Buch mit Vergnügen aus der Hand legen.

Keine