AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
191
14. Mai 1866

Verehrtester Herr Hildebrand!

Ihr werthes Schreiben hab ich gestern erhalten, und es hat mir meinen Geburtstag, den ich mit - dem Pabst am 13 May feiere, zu einem recht schönen gemacht, obwol der Himmel ein wahres Servatiusgesicht schnitt gerade als ob er wie die Leute hier herum sagten, sich ärgere über die böse böse Welt. Heute schneit es und mir ist das trotz allem ganz recht, denn nun kann ich doch gleich an Sie schreiben. Sie wünschen mein sg. Wörterbuch zu sehen? Leider werden Sie das nicht mehr wenn ich Ihnen dessen Entstehungsgeschichte etwas genauer erzählt habe.

Vor Jahren las ich, daß die Bewohner eines norddeutschen Dorfes mit etwa 400 Wörtern sich alles sagen könnten. Nun behauptete ich in einer Gesellschaft, unsere Wäldersprache sei wenigstens zehnmal reicher. Niemand wollte das glauben und ich habe dann zu sammeln angefangen. Damals hörte ich zuerst vom Grimmschen Wörterbuch; da ich nun den deutschen Sprachschatz gern kennen gelernt hätte, auch ein Vorbild für meine Arbeiten zu sehen wünschte, erkundigte ich mich bei meinem Buchhändler Hr Stettner in Lindau nach dem Preise, worauf mir dann zu Muthe wurde wie später, da ich das Sprüchwörter Lexikon bestellen wollte

Reich bin ich wol, doch nicht an Gut

Ich kann nicht Schätze graben

Reich nur an Gottvertraun u Muth, u s w Houwald Ich nahm also anfangs das den von Vonbun herausgegebenen Volkssagen aus Vorarlberg angehängte Wörterbüchlein, spä­ter das den Werken J. Gotthelfs Beigegebene zum Muster. Als dann mein Landsmann, Dr Josef Bergmann k. k. Rath u Custos in Wien mich durch das Schwarzokaspale kennen lernte, wünschte er zu besitzen, was ich bis dahin gesammelt. Ich schickte ihm etwa 1000 Blättchen zu wofür er mir freund­lich dankte. Seit damals hab ich nichts mehr von ihm gehört. Das Sammeln hab ich aber nicht aufgegebn und nur das Ord­nen auf spätere Zeit verschoben, ich habe meine Freude an den Bildern, die bei unsern vielbedeutenden Witz- und Kraft­worten vor mir entstehen und sich gleich zu regen und zu rühren anfangen. Doch für Sie, fürchte ich, werden die bei­gelegten Proben nichts sein, als Beweise der Mangelhaftig­keit meiner kindischen Übungen. -

Die beiden von mir erwähnten Nummern der Landes-Zeitung hab ich gesucht und gewünscht sie nicht zu finden. Mein Wunsch ist nicht erfüllt, ich hab sie gefunden, und muß Ihnen, da ich einmal davon schwätzte, den Aufsatz schon schicken. Ich hab ihn wieder gelesen und gefunden, daß er neben Unwahrem doch auch viel Wahres enthält und mit viel Witz geschrieben vielleicht auch nicht so bös gemeint ist. Den Verfasser, Hrn Dr Vonbun werden Sie aus dem oben erwähnten Werkchen (Volkssagen) kennen und der gute Mann hat mir nun, wie hundert andere sagen wollen: „Ein Dorfbewohner kann keine Dorfgeschichte schreiben" Bei­lage zur A. A. Zeitung 1864 N 105=6 die erwähnte Anzeige in den Blättern f. l. Unterhaltung findet sich J. 1864 Seite 333, eine andere in der Europa 64 N 5., St Gallner Blätter Nr 8 (von Herrn Prof. Kapf Ihrem damahligen Begeiter). In der letzteren Anzeige ist auch erwähnt, daß der „Verfasser ein Mann aus dem Volke, selbst ein bregenzerwälder Bauer". Mir war das zum Theil nicht recht lieb. Nicht daß ich mich etwa meines Standes schäme, aber was man schreibt, sollte ent­weder für sich selbst gut sein, oder es sollte auch nicht ent­schuldigt werden der Verfasser mag sein wer er will. Mein Nachbar macht sich, um kein Geld ausgeben zu müssen, sei­nen Wagen selbst, so schlecht und so gut es der Ungelehrte kann, wie der Senn in den Sonderlingen, doch das mag für ihn noch ein so großes Kunststück sein, ich will doch keinen Wagen von ihm. - Sie entschuldigen dieses eigenthümliche Gleichniß, es ist wie Freytag sagt oder seine Ilse sagen läßt II. Band Seite 128-29. Auch ich erkläre mir das Große aus dem Kleinen wie mein Franz den Staat aus der Gemeinde.­Kurz nach den selbstgemachten Erfahrungen gaubte ich, das Werk eines Bäuerleins würden wenige lesen mögen, doch zu meiner Freude erfuhr ich bald, daß ich mich irrte, und daß die Hohen nicht überall so hoch stehen wie hier herum. Gleich nach der Anzeige in den St Galler Blättern sind auch die oben Genannten erschienen, u sogar der literar. Hand­w[eiser] f. d. kathol. Deutschland hat mein Kaspale freundlich aufgenommen. Zu den Sonderlingen hätte auch mein Schwa­ger in Bludenz, von dem ich früher erzählte, eine Vorrede für nicht unpassend gehalten. Aber ich redete nicht gern von mir selbst und vom Werk hatte ich nicht viel zu sagen. Mir kommt so ein Wegweiser oft vor, wie ein Wirth der von seinem Wein redet. Sollte aber der Leser meinen, die geschil­derten Bauern wären nicht zu finden, dann freilich möchte ich ihn freundlich grüßen lassen und ihn zu mir einladen, damit ich ihn in die Kreise vieler ähnlicher Menschen führen könnte. Ungemein empfehlen würde es meine Arbeit, wenn - Sie einige Worte vorausschicken würden, wenn Sie es der Mühe noch werth halten sollten. Ich kann es kaum erwarten, Ihr Urtheil über die Sonderlinge zu hören. Hier sind alle Urlauber einberufen und die Aufregung der Gemüther ist eine gewaltige. Ich, als der Vertraute Vieler, habe Briefe von Soldaten gelesen die von den Ihrigen Ab­schied nahmen, und mehr als einmal hats mich erfaßt und gerührt wie noch nie ein Kunstwerk. Da ist die ganze Seele, das ganze Leben, ich werde diese Briefe wo möglich abschrei­ben und erlaube mir, Ihnen und allen Freunden des „Wälder­thums" eine Stelle aus dem Brief eines ehmaligen Älplers mitzutheilen: „- Wenn man den Tod seine Sense aufrichten sieht, dann schaut man noch einmal zurük auf das ganze Leben. Viel schöne Tag' sieht man dann und denkt, das Leben ist doch eine Wohlthat gewesen. Jetzt werd ich wol sterben müssen ohne Schuld aber ich hab nie verdient, daß mir Gott Leben gab und Gesundheit. Liebs gutes Mütterlein, beth für mich und dich und wenn du nichts mehr siehst und hörst von mir so denk: Ich hätt meine Pflicht gehörig erfüllt und sei gut gestorben, ich sei werth gewesen zu heißen dein Sohn Josef."

Während in der Welt draußen alles aus dem Gleis muß ist hier der Frühling eingezogen, und ich bin Morgens und Abends beim Etzo. Das sind mir die schönsten Stunden. Auf dem Boden, den der Väter Fleiß fruchtbar machte, neben einem Wäldchen, wo das Rauschen der Aach sich in der Vögel Lied mischt, hab ich ein kleines Hüttchen aufgebaut. Die Zei­tungen, die mich zuweilen ärgern, werden benützt, um den Virgil einzuwikeln denn ich lese jetzt, wenn ich Bismark satt habe, den Landbau während die Kühe grasen und liebe Kin­der um mich her spielen. O daß ich Sie und Ihre Lieben hier hätte in diesem stillen ruhigen Thälchen! Sie sollten kom­men, denn ich werde meinen liebsten Wunsch, Sie in Leipzig aufzusuchen, wol nicht erfüllen können. Ein Ersatz dafür bleiben mir Ihre Briefe, diese Beweise Ihrer innigen Theil­nahme. Doch wünschte ich recht sehr, den Kreis Ihrer wer­then Bekannten kennen zu lernen. Einstweilen bitte ich Sie, mir alle recht herzlich, zu grüßen.

Ich hab in der Gegend mich schon früher um Mitabonnen­ten von Zeitungen umgesehen. Mit der A. Allgemeinen hat sichs gleich gemacht. Aber Literaturzeitungen u d g dürften in Vorarlberg außer den Beiblättern nur wenige zu finden sein die erwähnten Nummern der Landes-Zeitung werde ich schicken wenn sich meine Hoffnung, Sie selbst hier zu sehen [sich] nicht erfüllen sollte. Die Ihnen nötig scheinenden Be­merkungen zu den Sonderlingen bitte ich, beizufügen! Wenn man einem den Finger reicht will er die Hand! Bogen 3 gleich Anfangs wird vom Hofe des Dionysius erzählt. Sollte ich die Nahmen verwechselt haben so bitte ich Sie ebenfalls um Ver­besserung da ich nicht mehr recht weis wo ich das dort Er­zählte vor Jahren gelesen. Auch zum 2 ten Theil hab ich dann noch etwas zu bemerken was jedoch nicht von Bedeutung ist und nur meinen Landsleuten auffallen könnte. Vom Hono­rar hab ich absichtlich nichts geschrieben da ich weiß, daß ich Ihnen das überlassen darf. Einstweilen beschäftigt mich nur die Frage: Wie wird es Ihnen gefallen was ich in dem Kämmerlein still und - stark gesponnen. Wenn, was ich aber kaum glaube, meine Sammlereien Ihnen verwendbar scheinen sollten, so bitte ich, mich bald davon zu benachrichtigen.

Tausendfach grüßend und dankend verbleibe ich mit voller Hochachtung

Ihr ergebenster

Franz M Felder

Keine