VON JOSEF NATTER AUS BESANCON

lfndenr: 
190
13. Mai 1866

Lieber Freund!

Vor allem Ändern muß ich mich entschuldigen, daß ich nicht früher geschrieben habe. Das hat zwei Ursachen, die ich Dir sogleich angeben will. Die erste ist, daß ich auf einer Reise von 150 Stunden verdammt wenig erlebt habe u. deßhalb dachte ich wolle noch warten, damit ich doch etwas mehr als blos die Reise heimberichten könne. Die zweite Ursache ist daß ich am letzten Sonntage arbeiten mußte, sonst könntest Du heute meinen Brief lesen. Doch ich will Dir jetzt berich­ten, wie ich hieher gekommen bin. Am 18. Aprill reiste ich von Hause ab u. gieng in einem fort bis nach Bezau,woich bei Frau Meusburger einkehrte, den Kaffee trank u. mir dann ein Wanderbuch vom Gericht holte. Dann trat ich die Weiterreise über die Bezegg ganz getrost u. voll Pläne für die Zukunft an. Doch schaute ich noch einmal wehmütig zurück u. dachte mir: Nun habe ich die Heimath verlassen u. darf früher als im Herbst nicht mehr zurück, es mag beinahe gehen wie es will. Doch bald dachte ich wieder nur an die Zukunft u. was sie mir wohl bringen werde u. kam ohne langen Aufenthalt nach Bregenz, Abends um 6 Uhr. Dort mußte ich 2 Stunden warten, bis ein Dampfschiff nach Lindau fuhr. Unterdessen that ich mir mit Bier u. Braten güthlich u. betrachtete einmal Bregenz. Ich hatte mich schon auf die Fahrt auf dem Bodensee gefreut, doch diese Freude fiel mir buchstäblich ins Wasser, denn es regnete so stark, daß man nicht fünf Minuten auf dem Ver­deck bleiben konnte, ohne naß zu werden. In Lindau fragte ich nach Herrn Stettner, wurde in sein Haus gewiesen. Dort stellte ich mich als ein Bekannter von Schoppernau vor, wurde von einer Tochter gut empfangen, in die Wohnstube geführt. Dort wurden mir Bier u. Speisen vorgesetzt u. ich gut unterhalten, bis Herr Stettner nach Hause kam. Derselbe emp­fing mich denn auch freundlich u. unterhielt sich mit mir noch lange. Am Morgen führte er mich noch in der Stadt herum u. bis zum Dampfschiff, mit dem ich nach Konstanz fahren sollte. Das Wetter war heiter u. kalt, doch gieng ich während der ganzen Fahrt nie in die Kajüte hinunter. Ich schaute immer in den See u. die Ufer hinaus, was mir etwas ganz neues u. Ungewohntes war, wie dem Binnenländer die Berge. In Konstanz stieg ich auf die Eisenbahn, die ich zum erstenmal leibhaftig vor mir sah. Ich fuhr nach Basel, von Basel nach Lörrach zu Herrn Berlinger, den ich aber am Abende nicht mehr zu Hause antraf.

Ich gieng in ein Wirthshaus um Übernacht zu bleiben, wurde zu einem besoffenen Handwerksburschen in ein Zimmer gelegt, doch schlief ich ebensogut als daheim. H. Berlinger sagte zu mir, es sei besser, wenn ich weiter ins Elsaß gienge, da er keine schöne Arbeit habe u. wies mich zu H. Peter Ehrat, Gipsermeister in Markirch, auch ein Auer, derselbe habe schöne Arbeit. Ich reiste daher wieder von Lörrach ab nach Basel zurück u. von da nach Mühlhouse, Colmar, Schlettstadt u. Markirch, also beinahe nach Strassburg. Doch Herr Peter Ehrat hielt mich nur Übernacht, am Morgen erklärte er mir, daß er keine Arbeit habe u. daß ich überhaupt schon zu spät, da jetzt schon Arbeiter genug hier seien. Nun wußte ich nichts Besseres, als nach Besancon zu fahren, wohin ich eigentlich schon von Hause aus eine Empfehlung hatte, obschon ich nichts davon sagte. Ich mußte wieder zurück bis nach Mühlhouse u. hatte von dort noch fünf Stunden zu fah­ren bis nach Besangen. Samstag Abends um halb 6 Uhr kam ich hier an. Ich kehrte in einem Kafe ein, forderte einen Schoppen Bier, fragte nach Monsr. Beer, wurde aber nicht verstanden. Nun ging ich aufs Gerathewohl durch eine Straße hinunter, fragte hie u. da, bis ich zum Glück einen Deutschen traf, der mir den Weg zeigte. Herr Beer fragte mich nach Namen u. Stand u. dergleichen u. versprach mir Arbeit, was ich Tags darauf heimschrieb. Ich wurde in ein Kosthaus geführt, wo beinahe lauter Deutsche sind u. dort angenom­men. Die Kost ist theuer, das Essen kostet 8 Sous o. 16 Neu­krz. Man ißt täglich 3 Mal, Morgens 8 Uhr, Mittags 1 Uhr u. Abends 7 Uhr. Unsere Taglöhner würden dreinschauen, wenn sie nur täglich 3 mal zu essen bekämen. Doch der Wein ist wohlfeiler, als bei uns, der Liter (2V2 Schoppen) gewöhn­lichen Weins kostet 10 Sous. Mir gefällt es so nicht übel, da man 2 mal täglich Fleisch bekommt.

Die ersten 8 Tage nun gefiel es mir gar nicht hier, da ich 2 Bestechern handlangen mußte. Das Pflastertragen verlei­dete mir entsetzlich. Ich ersuchte daher den Meister, daß er mich doch zu den Gipsern thu, da ich im Sinn habe, Gipser zu werden. Er gewährte mein Gesuch u. schickte mich aufs Land hinaus auf ein Landhaus, das ein reicher Fabrickant etwa 2 Stunden von der Stadt erbauen läßt. Es ist ein prächtiges Gebäude, in welchem der H. Beer die Gipserarbeit übernom­men hat. Ich bin nun Handlanger bei drei Gipsern, habe aber nicht streng u. es gefiele mir nun ganz gut, wenn ich die Leute verstände. Doch das kann man nun nicht ändern, ich mußte hin, wo ich Arbeit zu finden hoffte. Nur kann ich jetzt nicht in die Zeichnungsschule, was mich am meisten ärgert. Ich mache mich nun daran, die französische Sprache zu lernen, was freilich noch viel brauchen wird. Es sind viel Montafoner hier, aber nur wenige Bregenzerwälder, ein Auer, „Äreles Michel" u. einige Vorderwälder. Dieser Auer ist ein Mann in den beinahe 40 Jahren, ein ächter Fremdler, der mir nicht sehr gefällt. Nicht daß er ein Verschwender ist; oder sonst ein Ungläubiger ist, wie man bei uns die Fremdler ansieht, aber er ist so ungebildet, daß man wirklich staunen muß, daß ein Mensch der doch mit Gebildeten zuweilen zusammenkommt, noch so sein kann. Den ganzen Tag hat er nichts zu erzählen, als von Huren u. dergleichen, was in dieses Genre gehört. Ein anderer Vorderwäldler gefält mir schon besser, mit diesem ist etwas mehr anzufangen. Doch das nächste Mal mehr davon, jetzt bitte ich Dich, schreibe mir vor allem ändern die politi­schen Neuigkeiten, ich habe nur einmal das Glück gehabt, eine deutsche Zeitung in die Hände zu bekommen, u. neue Kriegsaussichten darin gefunden. Daß unsere Soldaten einrük­ken mußten, hat man mir geschrieben. Auch den Koffer habe ich erhalten, was Du dem Adlerwirt sagen kannst.

Keine