AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
276
9. Januar 1867

Lieber Freund!

Ich beeile mich, Ihnen zu schreiben, da Sie die beiliegenden Fra­gen sicher schnell beantwortet wünschen, daher froh sein wer­den, daß ich Gelegenheit finde, den Brief schneller nach Bre­genz zu bringen, als das durch die Post möglich sein würde. Ich wünsche recht von Herzen, beim Lesen des bereits Ge­druckten und auch hernach bei Ihnen sein zu können, ja meine Sonderlinge müssen freundliche Aufnahme finden, wenn es mir möglich sein soll, meine längst gewünschte aber für unmöglich gehaltene Reise zu Ihnen bis zur 2ten Auflage zu verschieben. Herzlich freuen wir uns schon darauf Sie bei uns zu sehen, die von Ihnen angegebene Zeit des Besuchs, Ende Juli bis Mitte August hab ich so ziemlich frei, nur auf das Vorsaßleben werden Sie da verzichten müssen, doch wer­den Sie auch hier alles noch älpisch (einfach wie in den Al­pen) genug finden. Nanni (Anna) das Wible fürchtete fast daß Sie es denn doch gar zu älpisch finden dürften, doch haben Ihre Briefe seit damahls diese Besorgnisse glücklich zerstreut.

Ihre Briefe verkünden immer ein Familienfest aber daß Sie auch der Sonderlinge wegen noch so viel Zeit versäumen und schreiben müssen, das muß ich, obwol es mich als ein Beweis Ihrer Freundschaft und Theilnahme ungemein freut, dennoch einestheils für Sie bedauern und ich möchte Sie auf das Wörterbuch zum Gotthelf - Jeremias Gotthelfs Schriften Band 23 Berlin bei Springer 1861 - verweisen in welchem Sie, da es doch in Leipzig leicht zu bekommen sein muß, ähnliche Fragen beantwortet finden werden. Daß ich so lange keine Wörter mehr schike, kommt davon, daß ich erst mit der Winterarbeit, Holz und Heuziehen etc fertig machen und mir freie Wochen machen wollte. Auch nehmen meine Be­strebungen für das Vereinswesen mir Zeit hinweg: vorgestern haben wir 64 Personen hier das Vereinsfest mit Gottesdienst für die Verstorbenen Mitglieder !! dann mit allem Möglichen (Reden halten, Festmahl, Tanz) gefeiert. Es wird mir nun, wie es scheint gelingen, für den Verein der hiesigen Handwerker eine kleine Bibliothek zu gründen. Ich fange mit einem Kapi­tal von 15 Gulden an werde aber bald über mehr zu verfü­gen haben wenn es mir nur wenigstens eine Zeit lang gelingt den Pfarrer neutral zu erhalten, Ihrem Freunde danke ich herzlich für seine Theilnahme, der von ihm gefürchtete Fall würde der Viehversicherungsgesellschaft nicht schaden. Ich bitte Sie ihm das ihn mir grüßend zu sagen, gelegenheitlich werde ich ihm die von mir verfaßten Statuten übersenden, die von Ihnen erwähnte Familie in Lindau kenne ich nicht, Herr Stettner ist, obwol ich schon oft dort war, meine fast einzige Bekanntschaft geblieben. Er ist ein freundlicher wie mir scheint etwas unglücklicher Mann, der selbst die Gesell­schaft zu wenig liebt, als daß er bei unser Einem Bedürfnisse dieser Art vermuthen und zu befriedigen suchen sollte. Auch nimmt sein Geschäft ihn oft in Anspruch. Im Theater sah ich Müllers Haberfeldtreiben, und glaube Ihnen schon gesagt zu haben, was es für einen Eindruck auf mich machte. Hier wurde umarmt und geküßt und ich wollte Sie hätten die zornige Miene einer nicht weit von mir sitzenden, mir unbe­kannten Wälderin sehen können. Der Kuß oder Schmutz ist hier als eine fremde-Bettlermode sehr verrufen, womit ich jedoch nicht sagen [will] es werde gar nicht geküßt. Es giebt hier viele Fremdler, aber wenn man von einem sagte er küßt seine Geliebte, so würde ihm diese Nachrede die öffentliche Meinung [unfreundlich, gegenüberstellen. Im Rößle in Au logirte im letzten Jahr ein Junges Ehpaar, die strenge Wirthin sah die beiden sich - küssen und theilte mir dann mit, die müßten noch unverheiratet sein, sonst würden sie keine sol­chen Dummheiten machen. Wir haben schon oft über diesen Schluß gelacht u ich hätte ihn in die fliegenden Blätter ge­geben wenn ich nicht früher etwas eigenthümlich zurükge­wiesen worden wäre. In meiner nächsten Arbeit, von der sich jedoch eigentlich noch gar nicht reden läßt, werden Sie viel­leicht die Geschichte eines Kusses finden. Bei meiner wun­derlichen Art zu dichten, oder eigentlich, in mir entstehen zu lassen, bin ich noch kaum im Stande, vom Neuesten mehr zu sagen, als daß es wol wieder etwas groß werden wird. Ich lasse meine Einbildung wochenlang arbeiten, bis eine Person, die eigentlich keinen Lebenden genau gleicht, ganz fertig ist. Erst wenn sie zum Hören und zum Greifen vor mir steht, greife ich zur Feder und schreibe das - erste Kapitel einer Erzählung. Hier stelle ich die Person fest auf einen Platz, in Conflikte und erst dann frage ich mich was nun aus ihr zu machen sei. Und da stehen sie auch der soge­nannte Stighans mit den dicken Backen, dem gemüthlichen Lachen und dem so biedern festen und doch auch wieder so unsichern unbeholfenen Wesen, gegenüber dem bittern, listigen leicht gewonnenen und wider verlorenen Stricker­peter. Fast wieder die Verhältnisse vom Kaspale und dem Sennen aber eine andere Zusammenstellung ein anderer Schauplatz, andere Erziehung und andere mitwirkende Ele­mente. Ich habe hier die Folgen der zwar verborgenen, je­denfalls kleinen Klassenkämpfe in unserm Ländchen zu zeich­nen angefangen. Glauben Sie aber ja nicht, daß mir der Haß gegen die Besitzenden die Feder führe! Sie werden das auch im Bisherigen nicht gefunden haben? Meine Freunde hier im Ländchen, mit denen einverstanden ich für das Vereinswesen thätig bin, sind meistens Leute aus s g guten Häusern. So er­wähne ich den Vorsteher in Bezau (Feurstein) dessen Bekanntschaft zu machen Sie gewiß freuen wird. Seine Frau ist eine sehr gebildete Wälderin und ich habe schon manchen frohen Tag in diesem lieben Kreise, zu dem auch einige Beamte u. A. gehören verlebt. Auch in den Weihnachtsfeiertagen war ich dort um meinen mit der Post ankommenden Klausmelker zu erwarten dem es leider nicht so gut gelang sich mit seinem von der Stiefmutter und vom Pfarrer beherrschten Vater aus­zusöhnen. Am 25 Abends ist der „Weltflügel" gekommen, das war meine Bescherung. Sonst wird hier im Allgemeinen Weihnachten nur kirchlich gefeiert; die Bezauer Liberalen und auch Ihr Freund bekamen heuer eine wahre Philipika zu hören. Mein Klausmelker ist ein Uhrenmacher und war 8Jahre in Bordeaux. Wol schwerlich wird jemand daran denken, daß der mir stand als ich meinen Helden zeichnete. Auf meine Landsleute macht der ziemlich belesene etwas Leicht­fertige Mann einen schwer zu beschreibenden Eindruck der nur für den Kundigen des Landes und Volkes in den 3 Wor­ten: Er französelt überlaut (daß es jeder hören muß) zu fin­den ist. Da ich nun einmal von alten und neuen Freunden zu reden angefangen habe so muß ich auch der von Ihnen in meinem Manuscript entdeckten 3 ten Hand gedenken. Es ist das mein Schwager Moosbrugger in Bludenz dem ich das Werk zur Durchsicht überbrachte u der einige Bemerkungen hineinschtrieb die ich dann zum großen Theil als Verbesse­rungen stehen ließ. Er ist sonst kein Freund des Romans den­noch hat ihn mein Werk zu einer Punschnacht begeistert. Sie werden ihn im „Ruf aus Vorarlberg" genauer kennen gelernt haben, dessen Redakteur er war, obwol ihm seine Stellung als Beamter das kaum erlaubte. Sie haben Recht. Es geschehen bei uns wunderliche Dinge, dazu zähle ich auch den Eifer mit dem hier herum der Social-Demokrat gelesen wird, wäh­rend sonst kein politisches Blatt aus Berlin nach Vorarlberg kommt. Es wäre wol gut, wenn es uns gelänge, die Strömung etwas zu regeln und etwas rechtes tragen zu machen, blos mit bejahen oder Verneinen wärs wol nicht gethan, doch davon werden wir reden. Es freut mich, daß ich die erwähnten Stellen stehen lassen kann obwol ich Ihrem Urtheil schließlich nachgegeben und sie geändert hätte. Die Liebe durfte ich hier nicht zarter schildern. Der Mutter macht der Doktor bei Franzen mehr Sorge als die Wunde. Später aber dürfte sie darauf kommen. Jedoch ist Mari etwas streng und achtete auch in Sepp nur den Mann der streng ein Ziel ver­folgt. Liebe empfindet sie nur für Franzen. Ich. glaube, was sie durch die gewünschte Änderung als Weib gewänne, würde sie als Wälderin verlieren. Die Religion ist ihr nicht im Kopfe, sondern ist Herzenssache. Ihr Verstand begreift die beiden Männer ganz gut sie ist keine Verehrerin des Pfar­rers, und nun wähnt sie den Mann unglücklich ohne ihr so gemüthliches Verhältniß mit Gott. So viel ich weiß, redet sie nirgends von der Hölle und dem Teufel: Das wäre nach mei­ner Ansicht der größere Fehler vom Dichter denn ich zweifle, ob sie so recht daran glaube, darüber mag sie sich wol selbst nicht fragen, eben um dieses gemüthliche Verhältniß nicht zu stören. O glauben Sie mir, unsere Frauen sind zum Theil nicht so streng und unduldsam, als viele vermuthen lassen und verzeihen Sie mir, daß Ihre gutgemeinten Worte meine Überzeugung mir nicht nehmen können. Entschuldigen Sie Ihren geraden und Ihnen besonders zur Wahrheit verpflich­teten Freund F M Felder

Soll ich mir vielleicht zugesendete Bogen zurükschiken? nächstens mehr.

Ader, die Kraft, das Vorgesetzte ist das sie Beherrschende a Zornader sein. Werchen, arbeiten, eine Werchader sein,

nichts können und wollen und schätzen als arbeiten.

Den Wurf in den Händen haben, werfen können wohin man will ohne Gegner fürchten zu müssen, überhaupt Mittel und

Spielraum zur Ausführung haben.

beigen, bigo/Gotthelf.  in  Form eines Vierecks aufschichten (Häufeln) was mit Bohnen unmöglich.

Lärmer sagt man gewöhnlich nicht, doch sollte Barthle damit unwillküh[r]lich  seinen   Gedanken  verrathen.   Wir  können allenfalls dafür setzen das Ding da denn Barthle kann sicher die Gewehre etc nicht leiden. Brechen heißt losgehen.

Wir sagen lau   gau   lau   gaust   laust  ebenso haulto haultst, daher glaubte ich mit a schreiben zu sollen. Ein Kampel  der Mann zu etwas  doch darum noch nicht im­mer zum Rechten.

Der Kampel ist immer pfiffig, andere Eigenschaften hat er, wie er sie im gegebenen Fall bedarf.

Feld - überhaupt fruchtbare Eben, Weod (in wie eo) Ebne Viehweide   Etzplatz Man sagt nur Klingol   Klingel das einmalige Anschlagen gläunggo Gläunggar mutloser, unbeholfener Redner nicht entschieden

Keine