AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
462
20. Januar 1868

Liebster Freund!

Das Vereinsfest ist vorüber, über das Schicksal meiner Leih­bibliothek und noch über manches bin ich nun ins Klare ge­kommen, Du erlaubst mir aber wol, daß ich meinen heutigen Bericht mit einer kurzen Einleitung beginne. Nur ein ganz kleines Opfer für meine Selbstbespiegelungssucht! Als meine kümmerliche Gestalt mit dem staubigen Hut sich einzuleip­zigern begann, selbst noch als ich aufzuthauen begann, ist auch offenen Gemüthsmenschen in freier Luft meine Ver­schlossenheit, oder Ungemüthlichkeit oder Strenge aufge­fallen. Mir aber war und ist das, nicht als Dichter, wol aber als Bauer furchtbar nothwendig. Die schneebedeckten Hügel müssen frieren, sonst würde sie die erste Lauine wegreißen und Lauinen giebts in meinem Leben mehr als selbst in dem der Sonderlinge. Ich bin doch noch nicht hart genug wie oft mich auch der Uhrenmacher um meine eisige Ruhe beneidet. Er thaut auch wirklich viel eher auf als ich, er hat viel zu viel Seele für das Leben in meiner Heimath, oder wenigstens ist die sie umhüllende Rinde zu schwach. Dafür liegt er nun da­heim - und flucht.

Am vorletzten Sonntag den 12 giengen wir Abends 7 Uhr mitsammen von Au heim. Wol mancher warf den beiden Ketzern Blicke des Hasses zu die eine aufgelegte Mißtrauens­adresse an Baron v Seyffertitz und den Reichsrath nicht unter­zeichneten, wie streng das auch auf den Kanzeln von jedem gefordert wurde, der noch fürderhin beim katholischen Glau­ben zu bleiben gedenke und nicht die „verschönerte - Hur­rerei" in Form des neuen Ehgesetzes gutheißen wolle. Bald lachend, bald ärgerlich erzählten wir uns die Gerüchte, welche des Pfarrers Werkzeuge über meinen Freundeskreis in Umlauf gesetzt hatten. - Das Hurrenbuch der Bibliothek ist dagegen nur ein Schatten - doch ich will Dich mit diesen Erbärmlichkeiten verschonen.

Wir, ich, der Uhrenmacher und seine Schwägerin ein liebes lebhaftes Kind, kamen in unbeschreiblicher Stimmung vor das Haus des Rößlewirths, der des Pfarrers bester Freund zu sein das Glück hat. Sein Haus unter Schoppernau, hart am Schrannenbach, ganz einsam stehend, haben wir Dir mit allerlei Bemerkungen gezeigt und eben darum wol hast Du diesen Ritter traurigster Gestalt nie sehen wollen. Das ist schade, denn nun bin ich zu einer kurzen Beschreibung ge­nöthigt, die ich lieber unterließe. Es ist ein kleines gelbes Männchen mit struppigem schwarzem Haar. Sein Gesicht ließ früher einen sehr leidenschaftlichen Menschen errathen. Jetzt ists starr. Nur im Zorn oder bei unflätigen Reden zuckt es drüber hin, wie ein Blitz über einen gefrorenen Teich, dann hört man auch sein heiseres Lachen, bei dem einem gleich das Wort teuflisch einfällt. Doch ich will dieses Bild für das eines Spitzbubens aufbewahren. Ich darf es ja ganz in einen Roman nehmen, wenn ich nur weglasse, daß er in einer Schlägerei das eine Auge verlor und ­Genug dieser früher allgemein unbeliebte Man ist der Freund, das Werkzeug des Pfarrers. Sein Haus wird jetzt häufig be­sucht weil es auch manchem, der ihn verachtet, noch Spaß macht, des Pfarrers Schatten zu verhöhnen. Mir ist dieses verkommene, ausgetrocknete, frömmelnde meistens halb betrunkene Männchen recht in der Seele zuwider. Ich er­schrack ordentlich mit der Schwägerin des Uhrenmachers als dieser durchaus in seinem Neste einkehren wollte. Nur weil wir ihn nicht alein hinlassen wollten, giengen wir mit ihm, nachdem er mir versprochen, daß er keinen Streit anfangen werde, wie gemein man uns auch begegne. Das Männchen ist nämlich stolz darauf, wird auch vom Pfarrer und den seinen dafür gelobt, daß es mit jedem freier Denkenden Streit anfängt und ihm die unverschämtesten Grobheiten und Lügen sagt. Es dauerte auch gar nicht lang, bis meine Leih­bibliotheck geschimpft wurde, dann war ich ein Feind des Pfarrers, meine im letzten Frühling gemachten Angaben Lügen und die Reichsräthe Spitzbuben und die Presse in Wien ein Judenblatt. Jetzt fuhr der Uhrenmacher auf: Der Redacteur der n fr Presse Dr Lecher sei aus dem Bregenzer­wald und hier hab es doch keine Juden. „Der Bischof" mekerte der Wirth „hat gesagt er sei ein Jude und der Bischof ha ha ha, der wirds denn doch wissen und der hats gesagt."

„Dann ist er ein Lügner!" schrie der Uhrenmacher. „Was?" fragten der Rößlewirth, sein Vetter, sein Knecht und ein Schnäpsler „Soll mans nicht Lüge nennen, wenn einer die Unwahrheit sagt?" schrie der Uhrenmacher und ohne meine Mahnereien zu beachten, ohne auf die Bitten der Schwägerin zu hören fuhr er in furchtbar schöner Erregung fort, „Wenn die Kapuziner den wakern Feurstein in Bezau verläumden wenn man meinem Freund jede Stunde verbittert, jeden Athemzug unter uns vergiftet, ist das recht? Hat alle Erbärm­lichkeit ein Recht, wenn sie in einem Kleide steckt, welches nicht durch uns, sondern durch sie selbst entheiligt wird?" Der Rößlewirth sprang auf, sein Vetter stürzte auf den Uhren­macher. Ich sorgte vor allem für die Schwägerin. In der Stube wälzte sich eine schwarze Masse herum, bald richtete sich eine Hand, bald ein Fuß zum Schlag auf, der Knecht hatte einen gefrorenen Bauernstiefel mit eisenbeschlagenem Ab­satz erwischt und hämmerte damit dem Uhrenmacher auf den Kopf daß mir das Blut ins Gesicht spritzte. Doch mein Vetter räumte die Stube. Die Elenden flohen nach allen Sei­ten. Ich hatte die größte Noth den vom Blute triefenden von der Verfolgung abzuhalten. Endlich verließ er, über diese Räuberhöhle fluchend, mit dem Messer in der Hand auf einen neuen Überfall gefaßt das Haus. Ach Freund, ich fürchte, daß aus diesem Blute Schreckliches für unser Dorf wachse. Am ändern Tage sollte das Vereins­fest gefeiert werden. Da hätte aus der furchtbaren Erregtheit der Gemüther Schreckliches entstehen müssen, wenn auch unsere Gegner zu erscheinen gewagt hätten. Mir, der eigentlieh an allem Schuld sein muß, hätte es so bald als einem angehen müssen und doch blieb ich nicht daheim, da ich doch vielleicht etwas Schlimmes verhindern konnte. Es lief gut ab. Der Verein dankte mir für meine Bemühungen be­sonders mit der Bibliothek und es ist mir der erfeuliche Auf­trag geworden, Dr Flügel für seinen Beitrag herzlich zu dan­ken und ihn im Nahmen aller Mitglieder zu grüßen. Ich weiß nicht, ob das den Pfarrer mehr ärgerte oder der Um­stand, daß er unerhörter Weise nicht einmal zum Festmahl eingeladen wurde. Er flüchtete nach Au, doch auch da feierte ein von mir „angerichteter" Verein sein Fest so friedlich wie wir. Am Dienstag aber gab es in manchem Hause Händel, daß man nicht einmal den Pfarrer einlud, die frommen Wei­ber tadelten eben jeden, weil kein einzelner die Schuld hatte. Am Mittwoch kam eine Verordnung der Statthalterei und ordnete neue Gemeindewahlen an. Das war von dieser ultra­montanen Regierung oder Behörde zu erwarten wenn sie Wind bekam, worum es sich handle. Nun begann die Wahl­bewegung gegen uns lutherische Hunde. Der Uhrenmacher kümmerte sich in der Aufregung dieser schrecklichen Tage nicht viel um seine Verletzung wie ihn auch sein Kopf brannte. Am Donnerstag aber mußte er sich zu Bette legen und das Dökterle rufen welches die Sache ziemlich ernsthaft fand und sofort Anzeige beim Gerichte machte. Am Freitag kam der Vater des Pfarrers ins Dorf und seine aufhetzenden Schimpfreden gössen Öhl ins Feuer. Der Zustand des Uhren­machers verschlimmerte sich, die Frommen erklärten alles für Betrug, das Dökterle für einen Freimaurer, mich für Satan selbst.

Am Samstag brachte ein Schreiben vom Bezirksamt Schreck und neue Aufregung unter die Frommen. Diese fürchten, die Anklagen, die ich im letzten Jahr erhob, könnte man nun doch noch thätlich bestättigt meine Furcht sehr begründet finden. Der Uhrenmacher liegt noch im Bett er mag nicht essen u kann nicht schlafen. Im Dorfe geht seine Rede beim Rößlewirth furchtbar übertrieben herum. Die Aufregung wächst, Krieg auf der Gasse und in den Häusern, wer ein­greifen, aufklären will, der ist auch ein Freimaurer schon ists eine Sünde, nicht aufgeregt zu sein. Niemand kann etwas thun und man hofft daß nun doch endlich der Pfarrer der über die der Belehrung Unzugänglichen alein Gewalt hat, von der Kanzel aus zur Ruhe ermahnen werde. Er muß, meinen viele.

Der Sonntag kommt, ein trüber stürmischer Tag. Rüscher be­steigt die Kanzel und glühend roth mit dröhnenden Schlägen auf dem Buchpult beginnt er bald eine Strafpredigt an uns wie man sie hier selbst noch nimmer hörte. Er begehrte fürch­terlich auf über die so die Diener Gottes zu beschimpfen wagten, erzählte, was er wegen solchen im letzten Jahr ge­litten, nahm den Rößlewirth und alle Rasenden als die Ge­treuen des Herrn in Schutz, forderte sie auf tapfer zu ihm zu halten, wenn man ihn in Wort und Schrift verfolge, wünschte jedem um seines Heiles Willen zu ihm [zu] halten und schloß den 3 Viertelstunden langen Wuthausbruch mit weinerlichen Schimpfereien auf einzelne Abgeordnete. Nachmittags wurde ich mit 7 von 10 Stimmen vom Gemeinde­ausschuß in die neue Wahlkommission gewählt. Wie wenig mich das freut, kannst Du Dir denken.

Die Wahl findet nächsten Sonntag statt. Wir sehen ihr mit klopfendem Herzen entgegen. Die eine Hälfte unseres sonst so musterhaft friedlichen Dorfes wird der ändern in furcht­barster Erregung gegenüber stehen. Wenn wir Neuen ver­lieren so werden die Frommen regieren, gewinnen wir, so fürchten unser viele etwas Schreckliches. Heute ist im Rößle nun Hochzeit. Der Rößlewirth selbst hat Gensdarmerie ge­fordert. Der Fromme fürchtet also selbst Händel. Seit sieben Jahren hatte man hier keine Gensdarmen mehr nötig. Kein Mensch weiß, was heut was bis zum Sonntag noch geschieht und was dann. Das ultramontane Volksblatt hat gestern einen förmlichen Religionskrieg gepredigt. Wenn ich kann, will ich dir eine Nummer schicken. Heut erhältst Du mit der Schilde­rung meiner Charwoche Felders Photographie und seinen herzlichen Gruß. Wenn ich fort könnte, ich würde mich bald nicht mehr besinnen. An ein ruhiges künstlerisches Schaffen ist hier kaum noch zu denken. Und ich hätte jetzt so viel Zeit da ich das von Leipzig mitgebrachte Geld verwendete, die rauhen Winterarbeiten zu verdingen. Du wirst fragen, warum ich hier bleibe. Nun Du kennst meine dürftigen Verhältnisse. Das Honorar für die Liebeszeichen ist mir noch nicht ein­gegangen und so bin ich denn auch durch Noth an der Flucht gehindert, durch Schulden gebunden. Ach ich weiß nur zu gut, wie peinlich Dir diese Mittheilungen sein müssen. Ich bitte um Verzeihung, daß ich Dich so auf die Folter spannen muß. Aber wen hab ich als Dich und den Schwager. Viel­leicht muß ich bei ihm eine Zuflucht suchen dann will ich Dir es gleich schreiben und auch dem Postamt wegen Deinen Briefen Anweisung geben. Grüße mir den Club und lies ihm diesen Brief vor wenn du willst. Am nächsten Sonntag, wäh­rend den Wahlen denk an mich, an uns, von 3-6 Uhr gehts los. Wir sind auf schlimmes gefaßt aber ich glaube doch es sei besser, wenn ich hier bleibe. Felders Gattin hat in der letzten Woche mein Herz gewonnen. Selbst die gestrige Pre­digt konnte sie nicht aus der Fassung bringen. Meine Mutter kam so rathlos heim, wie ich sie noch nie gesehen habe. Nun aber keine Klage mehr. Du hast jetzt genug, ich weit drüber, aber sagen mußte ich Dir das. Sei unbesorgt um mich. Meine Freunde werden mich schützen, wenns zum Ärgsten kom­men sollte.

Die übersendeten Photografien haben uns recht sehr gefreut. Sie gefallen allen die sie sehen, wenn es nicht solche sind, die vor mir das Kreuz machen.

Ach Gott ich werde schon wieder bitter und das will ich nicht mehr. Der täglichen Post ist nichts mehr im Weg, nur muß der Posthalter noch seine Prüfung ablegen. Schreib mir doch auch bald wieder. Mit herzlichem Gruß u Handschlag

Dein Freund Franz M Felder

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