VON FRANZ MICHAEL FELDER AUS LEIPZIG AN ANNA KATHARINA FELDER IN SCHOPPERNAU

lfndenr: 
545
29. Juni 1868

Liebes Wible!

Du hast nun schon gesehen, daß ich glücklich am Ziel meiner Wallfart anlangte. Gerade wie ich annahm nämlich gestern Abends flog ich von Reichenberg da herunter und wurde von Hildebrand und den Seinen aufs freundlichste empfangen. Die Reise war sehr interessant, sie hat mich weit weniger als im letz­ten Jahr ja sie hat mich eigentlich gar nicht angegriffen. Geschla­fen aber hab ich doch heute bis 1/2 9 Uhr, dann gefrühstückt und nun ists meine erste Sorge, Dich etwas von mir wissen zu lassen. Ich kann ja dann immer noch in der Stadt herumgehn.

Man sagt vom Staub der städtischen Strassen, von ungesunder Luft u d g l, ich aber muß schon gestehen daß mich die Luft, die ich hier einathme, wieder frisch und frei macht. In München wars noch nicht so und nun wirds mir ganz klar, daß es denn eigent­lich nur die Gesellschaft ist was den Menschen hebt oder nieder­drückt. Die Besten unter den Unsrigen verbrauchen ihr Lebens­mark, um den Druck krankhafter Verhältnisse von sich abzuwäl­zen so gut es geht und in Stunden der Erholung, in denen sonst noch das Schönste zu erblühen vermöchte können sie nichts Besseres, als eben gänzlich aus der Rolle fallen die sie fast wie eine Last empfinden und die ich daher kaum Beruf zu nennen wage.

Aber warum, wozu sag ich Dir das? Die Mauer muß fallen zwi­schen uns und der Welt, und von hier will ich mir Muth und Kraft holen auch fürderhin an der Brücke zwischen uns und der Welt zu bauen, von der ich schon gesagt habe. Es macht mir wirklich Mühe niederzuschreiben was ich eigentlich möchte. Dreimal bin ich dabei unterbrochen worden, zuerst von Dr Meißner, der zu meiner Begrüßung herüber eilte, sobald er eine freie Minute gewann. Hugo der gestern im Traume mir schon sein Grüß Gott mit wunderbar klangvoller Stimme entgegen rief, brachte mir Nr 21 der literarischen Blätter von Rudolf Gottschall, die einen recht trefflichen Artikel aus Gottschalls Feder über meine Sonderlinge brachten. Das ist das Erste äußere Ereigniß in Leipzig und ich bin in der Stimmung, es für eine gute Vorbedeutung zu nehmen. Ich las ihn mit Vergnügen, setzte mich dan wieder zum Schreiben und wollte Dir das Ereigniß melden, da kam aber Lipold mit dem ich mich bis jetzt unterhielt.

Von meiner Herreise gab es viel des Interessanten zu berichten, aber es scheint, daß Du lang auf den Brief warten müßtest, wenn das alles auch noch mit hinein sollte. Drum jetzt nur ganz kurz, von Bezau weg. Das Gericht in Bregenz hat mir Mittheilungen über den Stand der Wahluntersuchung gemacht. Es ist möglich, daß mich die dumme Geschichte nur zu bald wieder in die Berge ruft u in neue Händel verwickelt. In Lindau war ich Nachmittags bei Stettner, der auch Fräulein Rohner und 8 von Rorschach von Bregenz meiner Anwesenheit zu Ehren holen ließ. Nun, eifer­süchtig brauchst Du denn darum nun nicht zu werden.

Abends fuhr ich mit dem Güterzuge durch die herrliche Landschaft am Alpsee und kam 11 Uhr in Kempten an. Im Hasen war ich gut aufgehoben u am ändern Tage fand ich vor der Abfahrt nach Augsburg noch Zeit, die Stadt zu besuchen. Um 1/2 4 Uhr Nachmittags war ich in München, wo ich gleich den Bild­hauer Feurstein durch einen Dienstmann holen ließ. Wir durch­streiften die Stadt ins Kreuz und die Quere und blieben endlich im englischen Garten hängen wo gerade Konzert war. Zum Unglück saßen wir neben einem Ehepaar, welches vor 2 erwach­senen Kindern einen Hauskrieg ausfocht. Mir wars ob ich eine tiefe böse Wunde bluten sehe. Ich träumte sogar davon.

Am Samstag blieb ich in München. Feurstein war mein Führer. Gestern früh 1/2 6 Uhr fuhr ich gen Regensburg hinauf in kurz­weiliger Gesellschaft. In Regensburg mußten wir auf den Abgang des Eilzugs warten. Das Entgleisen eines Wagens hatte die Bahn 1500 Schritte weit aufgerissen. Menschenleben sind bei dem Unfall keine zu beklagen. Es hätte aber noch schlimm gehen kön­nen, weil alle Züge hin und her auf der ganzen Linie aus der Fahrordnung kamen und nun das Versäumte wieder einholen wollten. Uns wurden 2 Lokomotiven vorgespannt, die schnoben wie wüthend und ich erfuhr nun was schnell fahren heißt. Ich flog nun über Schwandorf, Eger usw. Auf dem Dach des Wagens rasselten Hagelsteine aber meine Gemüthsruhe war doch so groß daß die Mitreisenden mich im Leipziger Bahnhofe weckten, da ihnen mein Verbleiben im dunkeln Wagen auffiel. Nun frohes Wiedersehen, Hildebrand ist noch der alte und meint es so gut mit mir. Hirzel ist wegen Kränklichkeit in einem Bade. Doch reich und arm wird schon gedruckt und ich soll noch heute den ersten Bogen sehen.

Und so beginnt nun mein Leipziger Leben. Sage meinen Freunden, sie sollen meinetwegen außer Sorge sein aber um so mehr an unsere Sache denken. Mit der Gründung eines katholi­schen Kasinos in Au hat man nur auf meine Abreise gewartet. Wenigstens hat, wie ich gewiß weiß, das Dökterle dann gleich dafür agitiert.

Du siehst ich habe meine Heimath noch nicht vergessen. Ich stelle mir lebhaft vor, wie nun Morgen im Schalzbach Dungtag ist und daß ich am Sonntag den Himmel tragen sollte. Ich vermache diese Ehre dem Schmied und bitte Dich, es ihm schon am Sams­tag zu sagen. Meinen Freunden kanst Du diesen Brief lesen, der Uhrenmacher - ich laß ihn grüßen u Hildebrand auch soll das Gütterlimännchen nun Kasinomännchen heißen.

Nächstens mehr denn ich werde erwartet. Herzlichen Gruß euch allen. Lebe wol und gedenke Deines

Franz Michel

Keine