VON FRANZ MICHAEL FELDER AUS LEIPZIG AN ANNA KATHARINA FELDER IN SCHOPPERNAU

lfndenr: 
549
6. Juli 1868

Liebes Wible!

Heut hab ich einen Brief so bestimmt erwartet, daß mich Langweile plagt weil keiner kam. Freilich kanns an hundert Dingen liegen, aber ich erwartete nun einmal den Brief. Du soll­test mir über viele liebe Kleinigkeiten berichten. Ich lebe hier frisch, fromm, fröhlich, frei, und Du brauchst Dich um mich nicht zu ängstigen sondern kanst und sollst lachen, wenn um den Saubratenbedeckten Tisch sitzend von einem Luxus geredet wird und das Kohlerle seine Witze macht, während Sprenger ganz verstohlen, daß es die Mutter nicht merke, dem Filax ein Stück Brod zuwirft. Ach es wird mir ganz eigen wenn ich an den letzten Winter denke und an das, was wir zusammen durch­machten während ich mich alein kaum noch vor die Hausthür wagte. Wärst Du doch auch einmal in freier Luft und könntest aufathmen von all dem Elend! Aber Du hast deinen Jakob, und ich hab nicht einmal mehr Platz hier für alles, was Du jetzt zu versorgen hast.

Was machen sie doch. Grüße sie mir alle und sag ihnen, wenn sie am Herrd um Dich herum stehen, daß ich noch oft an sie denke und mich genau erkundigen werde, ob sie artig gewesen sind. Wie bald ich komme, kann ich noch nicht genau bestim­men. Jedenfalls denk ich in einem Monath daheim zu sein. Ich wollte Dir erzählen, was alles ich hier treibe, doch dazu bleibt keine Zeit. Also nur Allgemeines: Im Klub fühle ich mich heimi­scher als im letzten Jahr. Ich fühle, daß das Zusammenleben u Wirken überhaupt ein Innigeres ist als im letzten Jahr. Alle Mitglieder thauen da auf und der Rößlewirthin würde auch vor Hildebranden nicht mehr so bang werden, als da er in ihrem Herrenstüble saß. Letzten Samstag las er uns, was Platter vor 200 Jahren von seinem Gaißbubenleben erzählt. Ich war entzückt. Der Heimweg hätte 2 Stunden weit sein sollen. Es war wieder, wie ichs den Winter hindurch oft schilderte und in meinen Träumen wieder erlebte. Mondschein am großen Himel, kräftiger deutscher Gesang und zwischendurch konnte man von Herzen reden. Du weißt wie gern ich das thäte und wie schlimm es ist, wenn man seine beste Kraft dazu verbrauchen muß, wie nach allen Seiten gepanzert da zu stehen unempfindlich zu scheinen, oder kalt über die Dumheit seiner Quälgeister zu lachen. Offen gesagt: Ich hatte schon in München den ganzen Schmarren über Bord geworfen und mich davon gemacht. Aber da kommt mir unser Weltsblatt in die Hände und nun ist alles wieder da. Morgen will ich aber wieder deutsche Zeitungen lesen, oder bei dem gefundenen Spruchschatz verweilen.

Von meiner Reise bis Bezau wird Dir Kaspar erzählt haben. Stettner in Lindau wünscht, daß Du mir bis zu ihm entgegen käm­mest, aber da das Bruggmüllerle nicht mehr lebt wirds schwer zu machen sein, außer wenn Du in Bezau beim Feurstein das erste Mal übernachten wolltest. So eine kleine Erholung gönnte ich Dir so gern, wenn es zu machen wäre und ich bitte, mir davon zu schreiben. Aber bald!

Am Sontag fahren wir nach Kößen und von da werde ich viel­leicht nach Weimar dampfen. Ich freue mich recht auf diesen Ausflug der mich wieder zu lieben Bekanten bringen soll, während Rüscher euch prediget. Übrigens gehe ich auch hier zuweilen in die Kirche so z B vorgestern in die Motete. Sogar meine beiden Vorarlberger hab ich mitgeschleppt was mir der frome Thurnher, ein Vetter des Vielgenannten wol nie vergeben wird. Beiliegenden Brief an den Schneider sollst Du ihm bald zusenden, daß er mir am Sontag die versprochene Antwort schicken kann. Ich hoffe und wünsche, daß ihm die Badkur so gut anschlug wie mir. Ich bin recht gesund wie ich es seit einem Vierteljahre nicht war. Sage dem Mösler, es seien Bretter für ihn beim Vorsteher Albrecht bestellt und er möge sich mit diesem in Oberhausers Gegenwart oder alein vereinbaren.

Der Mutter und allen die herzlichsten Grüße meiner Freunde, besonders von Deinem

Franz Michel

Keine