VON FRANZ MICHAEL FELDER AUS LEIPZIG AN ANNA KATHARINA FELDER IN SCHOPPERNAU

lfndenr: 
552
10. Juli 1868

Liebes Wible!

Endlich ein Brief. Die Sehnsucht mit der ich ihn erwartete, zeigt wie sehr ich an Dir, an meiner Heimat hänge. Ich habe hier frohe Tage und schöne Abende erlebt. Ich war im Theater, hörte den Tannhäuser sah den Fiesko, schwelgte im Schützenhaus, erfreute mich an dem freundlichen Entgegenkommen bedeutender Per­sönlichkeiten: aber ich vermißte den erwarteten Brief und etwas wie Heimweh wollte mich ernstlich anwandeln. Heute wallfarte­te ich mit Zacharias zu einem Professor in Gohlis, aber ich war nicht recht im Gespräch. Auf dem Heimweg ging ich in ein Bierhaus, aber die Unruhe ließ mich nicht lange bei der Zeitung - es war die Allgemeine - sitzen. Ich eilte heim und fand endlich die Anweisung, eine Sendung von der Post zu holen.

Nun athme ich wieder auf und setze mich gleich an den Arbeitstisch der Kinder um Dir zu schreiben und für die Freude zu danken, welche Du mir gemacht hast. Mein Leben hier ist wie im letzten Jahr nur daß ich jetzt mehr zu Hause bin und mich freier bewege. Der Himmel macht jetzt endlich ein freundliches Gesicht und ich bin viel im Freien. Gearbeitet wird nicht, nur gelesen, wozu hier genug „Stoff" vorhanden ist. Mit einer genau­en Schilderung meines Herumtreibens will ich euch die Zähne nicht wässern machen, sondern nur zugestehen, daß alles auch wieder sein Ende haben muß. Freilich ists mir noch nicht mög­lich, den Tag meiner Abreise zu melden, aber ich sehe ihn kom­men und es kann sein, daß schon die nächste Woche ihn bringt. Jedenfalls komm ich noch in diesem Monath und hoffe Dir auch noch den Tag oder doch die Woche bestimmen zu können. Willst Du mir bis Lindau entgegen [kommen] so schreibe gleich und sonst auch wenns nicht schon geschehen ist.

Es wird schon der Wunsch laut, auch Dich einmal hier zu haben. O ich wollte das auch! Wie viel könnt ich Dir zeigen. Schon hier neben mir war Dir es interessant. Neben mir zeichnet Emi, das fleißige Kind, drüben hinter einer Büchermauer sucht Hildebrand alte Wörter, Vetter Karl der Große lernt, Hugo und Rudolf spielen im Garten wo ich zuweilen mit ihnen turne, draußen das Geräusch unzähliger Wagen, die durch die Turner und Windmühlenstraße Tag u Nacht dem nahen Bairischen Bahnhofe zufahren. Hildebrands Wohnung steht jetzt schon zwi­schen Häusern an einer beinahe doppelten Kreuzstrasse und mit der frühern Stille „is alle".

Gestern war ich auf einem Ball im herlich beleuchteten Schützen­haus, wo Leipzig seine Feste feiert. Morgen ist Klubsitzung, über­morgen früh 3/4 5 Uhr fahren wir nach Thüringen. Am Montag wenn ich hier bin ist Studentenkneip und wir werden auf der Wartburg das Erdenelend beweinen.

Nebenbei besuche ich Vorlesungen, das Museum, die öffentli­chen Bibliotheken u d g l und die Tage schwinden unbemerkt nur daß mich jeder reicher macht - aber freilich nicht an Geld. Ists da nicht genug wenn ich keins brauche. Die Reise nach Kößen wird für mich vielleicht verhängnißvoll sein, doch davon mündlich.

Samstag den 11 Juli 1868

Gestern Abends fand sich eine Gesellschaft in unserem Garten, wir scherzten plauderten und thaten alles Mögliche. Schließlich las ich - Deinen Brief vor und Du kannst mit der Aufnahme zufrieden sein. Die Damen u Dämchen u s fanden etwas helden­haftes in der Art wie Du Dich in meine Welt und in meinen Stil hinein gelebt hast und das ist es auch. Ich war des Erfolges zum Voraus sicher und es machte mir Freude, Dich so gewissermaßen frei einzuführen. Wenn Du nur hier wärst. Vielleicht wirds doch einmal möglich. Nun aber will ich noch geschwind an Oberhausers Kaspar schreiben. Lese den Brief und dann über­bringe ihn. Es grüßt Dich die Mutter den Uhrenmacher u Alle

Franz Michel Felder

Keine