VON HEDWIG UND NATALIE GASSNER AUS BLUDENZ

lfndenr: 
658
12. Januar 1869

Lieber Herr Felder!

Als ich Ihre freundlichen Zeilen erhielt hätte ich mich lieber gleich wieder hiengesetzt, um für die äußerst liebenswürdigen Worte zu danken, doch kam mir eben noch zur rechten Zeit rettend der Gedanke, dieser Überfall könnte Sie erschrecken. Ruhig wartete ich bis heute, doch jetzt leidet es mich nimmer länger, ich muß Ihnen sagen Herr Felder wie tief und warm mich der Inhalt Ihres Briefes berührte.

Es gibt Leiden für die dem Menschen jede Bezeichnung fehlt ­Wahnsinn wäre daher sich zu vermeßen, tröstend eingreifen zu wollen. Doch sagen darf ich Herr Felder, daß Ihr Kummer in meinem Herzen lautes Echo fand, und daß ich Ihnen in das neue Jahr den Wunsch mitgebe, die Zeit möge bei Ihnen heilen, was der Gegenwart unmöglich scheint. Überhaupt dürfen Sie, lieber Herr Felder überzeugt sein, daß ich beim Beginn des Jahres 69 auch den stillen Bregenzerwald nicht vergaß, ich kehrte unbemerkt in Ihrem trauten Heim zu Schoppernau ein, und hinterließ dort meine aufrichtigsten Glückswünsche, die erfüllt zu sehen, ich von der Zukunft erwarte.

Ihr Entschluß - „von nun an sei die Welt mein Haus" hat mich mit sehr widerstreitenden Gefühlen erfüllt. Wie freudig ruft Ihnen diese große Familie ein herzliches „Willkommen" entgegen; doch wie trauert sie auch mit Ihnen über die Ursache, die Ihnen dieser Ausruf abgerungen!

Ihr Intereße für Herrn Dkt. Scherer bringt mich Ihnen näher, denn er gehört zu meinen liebsten Bekannten.

Wie angenehm überraschte mich die Herausgabe des Dichterwal­des, mit dem er so freundlich war, mich zu Weihnachten zu überraschen. Es soll das die schönste Sammlung lyrischer Gedichte der Neuzeit sein!

Er beklagt sich in seinen letzten Zeilen über seine angestrenkte Thätigkeit. Bevor er den Dichterwald herausgab mußte er eine solche Anzahl Gedichte durchkosten, daß er vorgibt er habe für lange Zeit genug davon, was ich nicht hoffen will, da er mich hin und wieder mit eigenen Produkten beglückt. Die Adresse an: Georg Scherer Dr in Stuttgart- Langestraße N 4. wird ihn finden, ein Brief von Ihnen wird ihm sicher sehr willkommen sein! Ich konnte es nicht unterlassen ihn mit Ihrem warmen Interesse bekannt zu machen. Für heute: „gute Nacht", Herr Felder, ich will hier nur noch meine besten Grüße der kleinen Kinderschar beifügen. Von meinen Eltern soll ich Ihnen alles Freundliche sagen, mein Schwesterchen dankt selbst für den lieben Gruß. Ich sage: „auf Wiedersehen", weil ich in mir die Überzeugung trage, daß Sie mir das freundliche: „grüß Gott" nicht vorenthalten werden, wenn ich den Wunsch habe, wieder einmal einzukehren in dem fernen stillen Hause zu Schoppernau, als Ihre ergebene Freundin

Hedwig Gassner.

Bludenzden 12/1 69.

Was vermag nicht alles ein freundlicher Gruß - ist imstande Schranken zu brechen die meine Schüchternheit nie überwunden hätte - und so sitze ich denn hier um den Zeilen meiner lieben Schwester auch meinen herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahr beizufügen. — Eine glückliche heitere und gesunde Zukunft möge Ihr Loos sein - dieser Wunsch enthält alles - ja alles was ich sagen wollte, und von treuem warmen Herzen dickdirt wurde. - erfüllt sich derselbe - so werden viele damit beglückt. - Ja möge die Vorsehung, die Ihnen so tiefe und schmerzliche Wunden geschla­gen hat - der Zeit den lindernden Balsam in die Hand geben - der alles bittere und schmerzliche vergessen macht. ­Indem ich bitte mir meine Freiheit nicht übel zu nehmen, zeichne ich mich mit herzlichen Gruß-

Natalie Gassner

Keine