VON HERMANN SANDER AUS FELDKIRCH

lfndenr: 
444
21. Dezember 1867

Sehr geehrter Herr!

Es mag Ihnen lange dünken, seit Sie die letzten Zeilen von mir erhielten, und in der That hätte Ihr freundlicher Brief schon lange eine Erwiederung verdient; allein meine achtundzwan­zig wöchentlichen Lehrstunden, die Correktur der zahlreichen Schülerhefte, geschichtliche Vorlesungen in der liebenswürdi­gen Familie Ganahl und manche andere nützliche und ange­nehme Nebenbeschäftigungen nahmen meine Zeit so vollauf in Anspruch, daß ich an einen Briefwechsel, selbst an einen so angenehmen, als der mit Ihnen ist, bis in die Weihnachts­ferien nicht denken konnte, die denn endlich heute zu mei­ner großen Freude angebrochen sind.

Was soll ich Ihnen nun aber Interessantes berichten? Es gibt dessen hier so wenig, daß meine Verlegenheit keine geringe ist. Der strenge, schneereiche Winter bannt uns in das Haus, so daß ich schon seit Wochen nicht nach Altenstadt, ja nicht einmal nach Tisis gekommen bin. Da wird es bei Ihnen auch nicht sehr tröstlich ausschauen und vielleicht haben Sie sogar Ihre Spaziergänge in das „Rößle" nach Au sistiren müßen. Aber trotz der ungangbaren Steige im Gebirge werden doch, des bin ich sicher, die schwarzen Raben des Rückschritts und der Finsternis neuerdings geschäftig in die Häuser und Hütten des Bregenzer Waldes gedrungen sein, um dort Unterschrif­ten für die clericalen sinnlosen Adressen zu sammeln, die so kopflos abgefasst sind, daß sie hoffentlich das gerade Gegen­theil von dem bewirken, was sie erstreben. Oder wäre es nicht lächerlich, wenn ich mein Zimmer neu ausmalen lassen wollte, um einmal des alten Staubes und Schmutzes ledig zu werden, und mein Nachbar stürzte herbei und bäte mich, doch nicht mein Haus einzureißen? Ich schmeichle mir, Sie seien mit diesem Bilde einverstanden. Hier haben die Herren schlechte Geschäfte gemacht, da sie keinen Mann, der nur einigermaßen einen Namen hat, fanden, der denselben an die Spitze der einzusammelnden Unterschriften gesetzt hätte ­nicht einmal Deisböck. So beschloß man, das radicale Feldkir­cher Nest aufzugeben und sich nicht weiter zu bemühen. Erfreulich ist auch hier wieder die Erscheinung, daß der ältere, reife, einsichtsvollere Theil der Geistlichkeit, den Bischof an der Spitze, sich von der Agitation entfernt hielt, und nur die Hitzköpfe der jungen Brixner Schule diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen konnten, ohne sich zu blamiren. ­Freund Kunz hat schon mehrere lange Briefe geschrieben, die seine Reisebeschreibung und Sittenschilderungen aus dem amerikanischen Leben enthalten. Nächstens wird etwas davon in der Feldk. Zeitung veröffentlicht werden. Er ist gegenwärtig Mitarbeiter beim „Seeboten" in Milwaukee am Michigan-See, Staat Wisconsin.

Nun genug für heute! Glückliches neues Jahr. Nächstens mehr und hoffentlich wichtigeres. Mit Gruß

Hermann Sander

Keine