VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
294
10. Februar 1867

Lieber Freund,

Drei Briefe von Ihnen und erst einer von mir! Ach Gott, meine Zeit ist mir beschnittener als je! Ich muß micb auch heute kurz fassen, obwol es Sonntag ist und ich augenblick­lich Wörterbuchsferien mache, was mir seit zwei Jahren nicht widerfahren ist.

Vor allem die Meldung, daß der 1. Band im Satz und in der Correctur fertig ist, er umfaßt 17 Bogen, außer dem Titel. Ich lese eine zweite Correctur, und die Stunden sind mir seit­her die angenehmsten gewesen in meinem Tagewerke, ja wahre Freudestunden. Ich muß gestehen, daß mir das ganze Gewebe Ihrer Dichtung erst jetzt vielfach deutlich geworden ist, daß ich ihre ganze Tiefe und Feinheit erst jetzt recht er­faßt habe, da ich es durchkauen mußte, oder wollte; damals habe ich es noch zu rasch gelesen, weil mich die Ungeduld trieb, zum Gesamteindruck zu kommen, mit Gedanken an Hirzels Richterspruch. Ich wünsche von neuem Ihnen und der deutschen Literatur Glück zu dieser Schöpfung, sie wird, ahnt mir, nie vergessen werden. Ich hab am Sonntag angefan­gen, dem nächsten Freundeskreise, von dem ich Ihnen schon schrieb, es sind hauptsächlich die uns näher stehenden Haus­genossen, Ihre Sonderlinge vorzulesen, und heute Abend geht es weiter. Nicht ohne Zagen fing ich an, da ich von Haus aus eine für Tadel und Kälte überaus empfindliche Natur bin und genau wie Ihr Franz lange gewohnt bin, in jedem Urtheil eines Ändern ängstlich zu suchen, was daran Wahres sein müsse, sodaß ich selbst auf beleidigende Worte im Augenblick zu antworten noch jetzt meist unfähig bin (aber hinterdrein volle Rache in aller Güte einzuheimsen ist mir auch schon geglückt) - aber weg mit der Selbstbespiege­lung, die ich sonst schon überwunden habe - kurz die Vor­lesung verlief durchaus befriedigend, es war in den nächsten Tagen von Barthle und Sepp oft die Rede im Hause, meine älteste Tochter, die bald 13 Jahre alt ist, brennt drauf weiter zuzuhören, und man kann den heutigen Abend kaum erwar­ten. Könnten Sie doch unter uns sein, das ist der innige Wunsch Aller! und Ihr gutes Wible dabei, deren Handschrift mich so angenehm anheimelt.

Der Druckfehler auf Bogen 4 ist höchst verdrießlich, ich kann mir nicht denken, daß ich dran schuld bin. Zu helfen ist nicht anders als daß ein Carton gedruckt würd, ich wills morgen Hirzeln melden. -

Ihr letzter Brief war uns sehr angenehm-endlich ein Schwätz­brief! rief ich bei mir aus, wie ich sie von Freunden so gern habe. Die Schilderung Ihres Tagewerkes fand bei den Mei­nigen sehr dankbares Gehör, und ich bitte Sie förmlich, künf­tig recht viel von solchen Kleinigkeiten zu schwätzen, das sieht hier im fernen Flachlande und in der Großstadt ganz anders aus, als bei Ihnen an Ort und Stelle. Aber überarbei­ten Sie sich um Gottes Willen nicht! mir machte schon Ihr Übergang Sorge, obwol ich das auch sehr gut kenne - der mit Arbeit übernommene innere Mensch schuppt oder häutet sich dabei zugleich. Auch bei uns, wenigstens in Thüringen, nennt man übrigens so einen kleinen Krankheitsanfall, eine Grippe oder ähnlich, wobei kein Arzt geholt wird, tröstend ein Übergängelchen. Noch fällt mir dabei ein, machen Sie denn das gefährliche Holz und Heuziehen immer noch sel­ber? Schreiben Sie mir doch einmal nein! Überhaupt - ich sollte es eigentlich nicht sagen — überhaupt wären Sie doch wo anders besser am Platze! na, Sie sind noch jung - ich halte Sie für stark genug, auch den Dorn der Sie in diesen Worten stechen wird, zu überwinden. — Interessant war mir im drittletzten Briefe was Sie von Ihrer „wunderlichen" Art zu dichten sagten - ja das ist die rechte, die beste Art, die kein Ästhetiker besser angeben kann. Machen Sie nur so fort, aber wird sich Ihr Stoff nicht erschöp­fen? wenn Ihr Erfahrungskreis nur erweitert werden könnte. ­Noch etwas muß ich da doch auch gestehn - ich dachte dun­kel, Sie würden sich einmal an ein Drama wagen, zumal auf die Anregung im Lindauer Theater. Ich traue Ihnen den rech­ten Griff zu, wenn Sie die Motivirung genug zusammenzu­drängen vermögen.

Die Andeutung in der Augsb. Zeit, geht nicht von mir aus, ich habe sie leider nicht einmal gelesen, aber erzählt wurde mir davon von mehrern Seiten; spaßhaft war mirs sehr: das ist ein Wellenschlag, der weit von Dir doch von Deinem ersten Steinwurf ins Wasser kommt, dacht ich bei mir. Es ist auch schon in die angesehenste hiesige Zeitung übergegan­gen und wird wol weiter gehen. Ihr Wahlbericht hat mich gefreut, auch daß Feuerstein mit gewählt ist (von dem ich übrigens ein Buch in meiner Bücherei habe, den „Lands­brauch des Inner-Bregenzerwalds, den ich mir damals in Schwarzenberg im Hirsch kaufte, da ich ihn da ausliegen fand, der Fund gehörte mit zu den Dingen, die mir, ehe ich Sie kennen lernte, Ihr Land mit köstlichster Romantik umspan­nen, ich bin tief entzückt von Schwarzenberg bei einem prächtigen Gewitter ganz allein weiter gewandert - Feuer­stein hat noch mehr, z. B. Landestrachten die ich dort im Hirsch sah, das werd ich mir diesen Sommer mitnehmen aber mein Satz ist aus Rand und Band über der herrlichen Erinnerung von der ich am liebsten weiter redete - ich wollte eigentlich sagen, daß mir Ihre Angaben von dem politischen und kirchlichen Leben dort sehr angenehm sind, sie sind mir sehr werthvoller Denkstoff, mögen Klagen mit unterlaufen so viel Sie wollen. Jetzt bin ich gespannt auf einen Brief über Sie aus, rathen Sie! aus - Brixen. Ein Freund von mir, Mitglied unsres altdeutschen Clubs (der insgesamt zu Ihrem treuen Publicum gehört, das ich Ihnen hier geschaffen habe), Dr. Lotze, steht in wissenschaftlichem Briefwechsel mit Prof. Mit­terrutzner und hat da kürzlich beiläufig und arglos natürlich angefragt, ob man dort von Ihnen wisse und was man hier von Ihnen sage - wir sind höchst gespannt was von dort ver­lauten wird. So rücken Sie, der Vorarlberger, vom Norden aus, unter dem Schirm norddeutscher, akatholischer Anerken­nung in die Hauptburg des katholischen Tirol ein! eine ganze Lustspielscene steckt in dem Gedanken und ein gut Stück modernster Romantik dazu.

Auch bei uns ist lebhafte Wahlbewegung, fürs norddeutsche Parlament, der Kampf ist, ziemlich erbittert, zwischen Preu­ßenfeinden und Preußenfreunden; ich gehöre, trotz Prep­ßens schwerefr] Sünde, zu den letzten - ich wittre deutsche Morgen- und Frühlingsluft aus dem norddeutschen Parlament, meine liebsten Hoffnungen sind seit 1848 nicht so hoch ge­gangen wie seit kurzem. Und unser Beust beißt sich doch wol auch durch bei Ihnen? ein Sachse in Wien und Pesth. Doch genug; grüßen Sie mir die lieben Ihrigen,

Ihr R. Hildebrand, was heißt denn das Kirrhen in dem Landsbrauch S. 49?

Keine