VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
311
7. April 1867

Liebster Freund,

Heute muß ich an Sie schreiben. Wenn der Himmel nicht hartnäckig nebelgrau wäre, würd ich spazieren gehn; aber es will dießmal durchaus nicht Frühling werden, die Büsche in unsern sehr schönen und ausgedehnten Stadtanlagen put­zen sich zwar schon grün und thun damit was sie können, aber die Luft ist noch rauh oder der Himmel grau, und die Büsche und Bäume und die Amseln und Staare und ihre Brü­der darin thun einem leid, sie müssen denken es ist dießmal ein falscher Kalender ausgegeben worden. So will ich denn ein Stündchen mit Ihnen verschwatzen, da wird mirs auch wie Lenz.

Ich hab aber auch mancherlei zu berichten, darunter auch eine Sünde zu beichten.

Zuerst die Meldung, daß die Druckerei nun endlich mit den Sonderlingen fertig ist. Es ist damit zuletzt langsamer vorge­gangen worden, jedenfalls weil Hirzel sie nicht vor Ostern ausgeben will, aus buchhändlerischen Rücksichten: Die Sor­timenter haben vor Ostern zu viel mit den sog. Remittenden (Krebsen) zu thun und lassen darum die sog. Novitäten ohne­hin gewöhnlich liegen. Übrigens war im März und Februar mit dem Satz so rasch verfahren worden, daß ich Wochen lang hintereinander täglich einen Bogen zur Revision erhielt - das war ein Vergnügen für mich, zumal ich diese Neben­arbeit zum Glück ohne Beschwerde in die fortgehende Wör­terbuchsarbeit einflicken konnte. Mit welcher Freude sah ich so rasch das Werk, dessen Inslebentreten mir so lange als Sorge auf dem Herzen gelegen, nun Schritt für Schritt oder Stück für Stück gleichsam über die Schwelle heraus­treten an das Licht des buchhändlerischen Daseins. Ich wollte, die Arbeit wäre mir nie alle geworden, und als sie alle war, hab ich mir ernstlich gleich Ihr neues Werk ebenso unter die Hand gewünscht, auf das ich unsäglich gespannt bin, und nicht nur ich, alle meine nächsten Freundeskreise mit mir, die überhaupt ein ganzes Häuflein von innigen An­hängern und Freunden von Ihnen darstellen. Sie schrieben doch schon vor Wochen von 30 bereits geschriebenen Bo­gen? Nur die Namen der Helden, offen gestanden, wollen uns nicht munden, besonders der Strickerpeter führt - viel­leicht nur für Andere als Ihre Landsleute - etwas Derbes, Grobes und Lächerliches mit sich, soll er das? Von den Son­derlingen bekam ich gestern freudig das Letzte im Reindruck, dabei zwei hübsche grüne Umschläge, auch ein Carton für Bd. 1 S. 61, wo das Wort ausgefallen war; einen ändern Druckfehler hab ich auf dem letzten Blatte noch berichtigt. Aber ist nicht auch das ihnen auf S. 64 des 2. Bandes ein Fehler? muß es nicht heißen: als aberMariann . .. freundlich mit ihm redete? Es stand doch so (ihnen) im Manuscript. Bestellungen auf die Sonderlinge laufen schon seit Wochen ein, z. B. vor 14 Tagen waren zwei aus Bamberg auf einmal gekommen, auch eine Anfrage von Gerold aus Wien an Hirzel, was denn an den Zeitungsnachrichten von dem Bre­genzerwälder Bauerndichter wäre? Diese Nachricht ist nun übrigens auch schon nach England gekommen, ich schicke sie Ihnen mit, wie mir sie Dr. Flügel gegeben hat, es ist die Nachricht aus der Augsburger mit geringer Umänderung. Ich träume darauf hin schon von einer Übersetzung ins Englische, wie z. B. Auerbachs Auf der Höhe kürzlich englisch erschie­nen ist, gedruckt hier in Leipzig bei Tauchnitz, übersetzt von einer in Heidelberg lebenden Engländerin, die zufällig mit Dr. Flügel bekannt geworden ist (eben dadurch) und diesen Sommer zum Besuch nach Leipzig kommt; da wird sichs vielleicht machen lassen, daß sie auch Ihre Sonderlinge vor­nimmt. Sind doch auch Freytags beide Romane ins Englische übersetzt worden, sogar zweimal, wie auch ins Französische, Holländische, Ungarische, Polnische, Italiänische u.s.w. Das Neueste ist, daß ich heute früh auf dem Cafe Ihren Tannberg gedruckt gelesen habe; ein Freund, Mitglied mei­nes altdeutschen Clubs, hatte die Nachricht von einem Freunde erhalten und ich eilte, mich zu überzeugen. Aber wissen Sie wo? nicht in der Gartenlaube! in der Europa, die ja auch in Keils Verlag ist! Mich ärgert das, er hat es also für die Gartenlaube nicht passend gefunden! Ich muß von ihm selbst erfahren, warum, und werd ihm nächstens meinen Besuch machen. Oder hat er bei Ihnen darum angefragt? Das hätte sich wenigstens gehört, und die versprochenen 100 Gulden sollte er Ihnen doch trotzdem auch zahlen, der Mann der förmlich im eingehenden Gelde schwimmt (in 230000 Exempl. wird jetzt die Gartenl. gedruckt). Übrigens nimmt sich Ihr Aufsatz in der Europa ganz gut aus, ich freue mich drauf, mit Dr. Steger (er ist aus Braunschweig) näch­stens einmal darüber zu reden, er hat mich dieser Tage auch um Ihre Briefe mahnen lassen zu einem Aufsatz über Sie. Doch das wird nun kaum noch nöthig oder thunlich sein; ich habe sie nämlich neulich selbst schon verarbeitet, und das ist die Sünde die ich zu beichten habe. Keil drängte mich förmlich darum, und so gieng ich denn dran, nachdem ich Hirzels Zustimmung eingeholt hatte. Am Charfreitag wird die Nummer erscheinen, in der 7 Spalten lang ein Aufsatz von mir über Sie steht. Er ist mir theilweis nicht nach Wunsch gelungen, weil er in der Klemme zwischen Keils und des Wörterbuchs Drängen gemacht werden mußte und ich nicht völlig über die rechte Stimmung gebot; zwischen dem wis­senschaftlichen Stil und dem Gartenlaubenstil ist aber eine gar zu große Kluft, und ich bin ja in dem zweiten Sattel gar nicht zu Hause. Auch hat mir Keil zu meinem Ärger noch viel gestrichen, was vorbereitend von Ihrem Ländchen han­delte und dem Leser die Stimmung geben sollte, in der ich damals an Sie kam. Ich bin ordentlich böse auf die Garten­laube und bereue beinahe meine Arbeit: was ist den Herren dort Stimmung! pikante Thatsachen wollen sie haben, das ist das Futter für ihre abgestumpften Gaumen. Ich habe Kampf gehabt, um Titel abzuwehren wie: Ein Dichter im Bauernkit­tel! Die Überschrift, die ich gesetzt hatte, war durchaus nicht durchzubringen, dreimal sind nur deshalb am Donnerstag Briefe hin und hergegangen zwischen mir und dem Garten­laubenschlosse. Auch Ihr Tannberg ist Keiln oder seinem Redacteur sicher nicht pikant genug gewesen (mich dauert nur die schöne Zeichnung); ich fühlte das voraus und hab ihn deshalb so lange bei mir liegen lassen. Ich dachte bei mir, als ich heute Mittag vom Cafe national, meiner alten Stammkneipe, heim gieng: Wie dem Tannberg, so wäre es vermutlich auch den Sonderlingen gegangen, wenn die Ent­scheidung allein dem Geschmack der Verleger überlassen geblieben wäre. Unser ganzes Lesepublicum hat augenblick­lich, mit nicht vielen Ausnahmen, einen verdorbenen, über­reizten Gaumen, daß ihm das Echte, was Sie bieten, fade schmeckt. Gut daß Sie kommen, um der deutschen Lesewelt einmal wieder zu zeigen, was echte, ewige Natur ist. Ich fühle mich glücklich, dabei als Helfer etwas thun zu können, mir ists jetzt manchmal als könnte bei der merkwürdigen Kette von Zufällen, die uns zusammengeführt hat, wol gar ­eine höhere Hand im Spiele sein, das ist so ein verwegener Kindergedanke, aber ein hübscher. Ich würde ihn auch nicht aussprechen, hätten mir ihn nicht Andere ins Gesicht gesagt. So am Freitag Abend. Da erstattete ich Bericht über Sie in einer Gesellschaft, deren Mitglied und langjähriger Vorsteher ich bin. Sie dient dem Vergnügen, mit Gesang, Declamation, Vorstellungen aller Art (auch Theater haben wir schon ge­spielt), Tanz und Schmaus u.s.w., und nennt sich Sinecura; ich habe sie i.J. 1851 mit gegründet, die Mitglieder sind vor­wiegend Lehrer. Da erzählte ich denn von meinem Bekannt­werden mit Ihnen und von Ihnen und las zwei Ihrer Briefe vor - die Wirkung war eine zündende, bei Männlein und Weiblein, die nach und nach sogar die Stricknadeln ruhen ließen, wie mir nachher meine Frau berichtete. Hält ich die Äußerungen alle niederschreiben können, die nachher um mich fielen, auch von Solchen die sonst immer als Flache erscheinen, Sie würden staunen; der verdorbene Gaumen war auf einmal - gesund. Ich hatte die Aushängebogen der Sonderlinge mit, und nun war keine Ruhe, ich mußte auch daraus vorlesen,obwol es vor Gesang und Pianofortevorträ­gen dazu zu spät geworden war. Ich mußte mich wieder an mein Tischchen setzen und nahm die Geschichte dran, wie Franz vor Mariannens Fenster erscheint und dann das Schä­ferstündchen mit Kälbern und Reisigbündel zu Besen. Die Spannung war dieselbe, die meisten saßen mit vorgebeugtem Oberleibe da, alle Stricknadeln ruhten, ich sehe plötzlich nach der Uhr und finde 7 Minuten vor Mitternacht und er­kläre das mit Schreck. „Ich erkläre mich in Permanenz" rief ein sonst etwas im Pikanten stark Verlorener, Advocat Krug. So las ich bis ein Viertel nach Mitternacht, und es kam neue Ernde von Dank und Freude, wie ichs noch kaum oder nicht erfahren beim Vorlesen. Ich habe noch nicht so erlebt, was es heißt, eine Gesellschaft elektrisiren. Manche erklärten, sie hätten die ganze Nacht zuhören wollen. Es waren etwa 60 Personen. Eine Dame, die mit uns nach Hause gieng, Frau Obersteuercontroleur Schwede, gestand mir unterwegs, sie hätte den Einfall gehabt, wir sollten gleich auf der Stelle eine Dankadresse an Sie aufsetzen und sie alle unterschreiben. Nehmen Sie es für geschehen an, da es nun nicht mehr aus­zuführen sein wird, weil das der letzte Unterhaltungsabend für diesen Winter war. Frau Schwede hat mir auch auf die Seele gebunden, wenn Sie - nach Leipzig kämen, sie ja mit Ihnen bekannt zu machen, und habe ihr das feierlich ver­sprochen. Sie sind nun so schon in drei Kreisen, denen ich ähnlich angehöre, als Gast versprochen, in der Sinecure, im Germanistenclub, und in unserm Hinterhause, wie ichs scherzhaft stolz nenne. Das ist derselbe Familienkreis aus unserm Hause, deren Namen ich Ihnen schon einmal ge­schrieben habe. Da les ich heute Abend das vorletzte Kapi­tel des 2. Bandes, meine Kinder könnens nicht erwarten, wer denn den Sepp aus dem Vorsaß holen wird; Barthle müsse und werde es thun, behaupten sie, und ich freue mich über diese Behauptung. Von mir hören nämlich 3 Kinder zu (Emmy 13 Jahr, Hugo 11 Jahr, Rudolf 9 Jahr), außerdem noch 4 an­dere Kinder, sie werden diese Abende in ihrem Leben nie vergessen. Ein Knabe aus dem Hause, der sonst nicht dabei war, hatte sichs neulich zu seinem Geburtstag als Gunst mit ausgebeten, zuhören zu dürfen, ein Deutsch-Amerikaner 11 Jahre alt.

Ja, Ihr Besuch in Leipzig wird immer mehr eine moralische Notwendigkeit, und auch die von mir dafür gestellte Vor­aussetzung wird wol nicht lange auf sich warten lassen. Ich komme im Juli bestimmt nach Schoppernau (wenn Friede und Gesundheit es erlauben) und dann - nehm ich Sie gleich mit nach Leipzig, damit Sie unter meiner Führung Augsburg, Nürnberg, Weimar kennen lernen, und wir werden da so ziemlich überall liebe Freunde finden, die uns den Besuch mit Geist und Gemüth und Ortskenntniß weihen helfen. In Weimar hab ich Sie schon angemeldet bei Dr. Reinhold Köh­ler, Bibliothekar an der großherz. Bibliothek, ein Herzens­freund von mir, der mein Interesse an Ihnen theilt. Doch ich muß schließen. Merkwürdig ist mir Ihre neuliche Äußerung, daß Sie in den Kämpfen dieses Jahres ohne meine haltende Hand untergegangen wären. Ich verstehe das nicht ganz - aber reden wir nicht von Untergehen, von fröhlichem Aufsteigen wollen wir reden! Ich habe seit meinen Jugend­jahren nicht wieder so ein sicheres, fröhlich frisches Blicken in eine - große Zukunft gekannt, wie jetzt, seit ich Sie kenne und seit Bismarck das alte Elend des Vaterlandes ausfegt. Ich schicke Ihnen auch Scheffels Brief mit, mit Bitte um nicht zu späte Rücksendung; die misrathene Photographie von Ihrer Familie möcht ich gar zu gern doch haben, auch Ge­dichte von Ihnen, wenn das liebe Wible sie abschreiben kann, so viel als möglich - wo möglich solche die Sie für die gelungesten und solche die Sie für die wenigst gelungenen halten.

Herzliche Grüße von den Meinigen und mir (besonders auch von Emmy) an Sie und die Ihrigen, es dauert ja nun nicht lange mehr daß wir uns genauer kennen,

in treuster Freundschaft Ihr R. Hildebrand.

 

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