VON RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
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12. Mai 1867

Liebster Freund, Sie tapferer Kämpfer und ­Märtyrer für die heiligsten Angelegenheiten der Zeit, Trost brauch ich Ihnen nicht zu geben, den finden Sie in sich selbst genug, und es ist wol auch ganz überflüssig wenn ich Ihnen sagen wollte, daß Sie unmöglich glauben konnten, Ihr Einfluß reiche schon weit genug, daß er, wenns zum Treffen kam, dem Einflüsse der Kirche, dieses uralten, tief gegrün­deten Gebäus, die Wage halten konnte. Die Gebildeten und Studirten gehen ruhig um dieß Gebäu herum oder mit Heu­chelgebärde mitten hindurch. Sie allein konnten es unmög­lich über den Haufen rennen mit dem bloßen Hauche des Geistes. Sie werden sich sicher nicht entmuthigen lassen, und wenns möglich wäre, den Kampf auf ein größeres Kampffeld zu versetzen, dann möchte ich mit Ihnen in den Kampf ein­treten, wenns meinen Wünschen nachgienge. Das ist mir das Bewunderungswürdigste an Ihren Sonderlingen, daß Sie die brennende religiöse Frage in die Hand nahmen, und wie geschickt und wirksam - und gewiß die Wirkung wird nicht ganz verloren gehen.

Doch das ist jetzt nicht die Hauptsache. Jetzt gehen Sie selbst vor. Ich danke Ihnen, daß Sie zunächst der Faust gewichen sind, nicht nutzlose Tapferkeit gezeigt haben; auch dank ich dem Geschicke und Ihrem trefflichen Schwager, dem ich meine Hochachtung zu bezeigen bitte, daß sie Ihnen eine nahe Zuflucht gewähren. Höchsten Dank auch Ihrem braven Wible, der Heldin, der ich gleichfalls meine Hochachtung und Bewunderung ausspreche zugleich im Namen meiner Freunde hier. Ich gäbe was drum, wenn ich Sie beide hätte können wandern sehen, von oben, oder lieber von innen, wie es Gott sehen müßte; was muß das gute Wible gelitten haben! gewiß mehr als sie Ihnen selbst hat merken lassen! ­Aber was nun? Welche Hülfe brauchen Sie? Ich kenne die Verhältnisse zu wenig, um ermessen zu können, was von einem etwaigen Frieden, den Sie dort schließen könnten, auf die Dauer zu halten ist? Meiner Ahnung nach dürfte ein Frieden und ein Bleiben für Sie auf die Dauer unmöglich sein. Ich verspreche Ihnen für den Fall alle mögliche Hülfe, die ich hier etwa beschaffen kann; wie weit die freilich grei­fen würde, kann ich jetzt selbst noch nicht ermessen. Aber am Einsetzen aller meiner Kraft für Sie, und aller Ausdauer und Zähigkeit solls Ihnen nicht fehlen, mir ist augenblicklich nichts heiliger als Ihre Angelegenheit.

Wie wärs, wenn Sie jetzt von Bludenz, her nach Leipzig kämen? Wenn Sie das Reisegeld Ihren Kindern nicht entzie­hen können, so nehmen Sie es als kleine Gabe für die Lebens­freude, die ich Ihnen verdanke, von mir an-falls Sie irgend von einem Besuche Leipzigs jetzt etwas für sich erwarten, und wäre es nur Trost und Zuversicht, so beschwöre ich Sie im Namen unsrer Freundschaft, seien Sie hochherzig und schreiben Sie die Reisekosten auf Ihres Freundes Rechnung­ich werde jauchzen in meiner Arbeitsstube, wenn ich lesen sollte, daß Sie kommen. Zudem ist auf meinen Besuch in Schoppernau nun wol nicht mehr zu rechnen, ich wäre wol dort ebenso gefährdet wie Sie, meine Frau denkt das schon lange. Sie wären hier mein Gast und könnten bleiben so lange Sie wollten.

Ich erhielt Ihren Brief gestern Abend um 6, las ihn im Garten zuerst, meine Frau und mein Hugo dabei stehend-wir konn­ten alle drei die Thränen nicht halten. Dann hab ich ihn noch­mals gelesen mit einem Freunde, der zugleich zu Ihren innig­sten Verehrern gehört, der gab mir den ersten Trost. Dann lief ich damit zu Hirzeln, der war sehr bewegt, bat sich den Brief aus und hat ihn bis heute Mittag behalten. Von da gieng ich zu meinem Rector, Prof. Eckstein, der zugleich Meister vom Stuhl in der Freimaurerloge ist und neulich vor ein paar hundert Freimaurern einen Vortrag über Ihre Sonderlinge in der Loge gehalten hat; er sagte mir, im Nothfall sollte Ihnen die Hülfe der Freimaurer nicht fehlen, er ist sehr erwärmt für Sie. Heute früh war ich auch bei Keil, fand ihn freilich etwas kühl, er nahm Ihre Flucht mehr wie eine Zeitungsmerk­würdigkeit hin, ließ aber dann auch Worte fallen von etwai­ger Beihülfe seinerseits. Ihre Heilsgeschäfte erwähnte ich da­bei gegen ihn, aber er zeigte sich nicht sehr begierig, die alte Wärme für Sie ist bei ihm offenbar verraucht. Ich fürchte, auch die Heilsgeschäfte würden das Schicksal des Tannbergs haben. Erst wenn Ihre Sonderlinge in Blättern gepriesen wür­den, könnte ich wieder den Muth haben, sie ihm anzubieten; sie kommen mir übrigens auch etwas zu gedehnt vor in eini­gen Partien und ohne recht kräftigen Abschluß. Keil rieth mir übrigens, ich sollte in Ihrer Angelegenheit mich geradezu an Minister Beust wenden, was meinen Sie dazu? Ich wills gern thun, wenns was nützt. Wollen Sie nicht an Baron Seiffertitz gehen? brieflich oder persönlich? Mir fiel auch im Bette ein, ob ich mich etwa brieflich an Ihren Pfarrer wenden könnte? versöhnlich, verständigend, mahnend, was meinen Sie dazu? Hirzel sprach von der Öffentlichkeit, an die man appellieren sollte, Keil wollte eine Erzählung Ihrer Flucht, mit den Gründen derselben, gern in die Gartenlaube nehmen. Aber die Hauptfrage ist ja, ob Sie Frieden machen können mit Ihrer Gemeinde, und wenn das möglich ist, daß der dann durch nichts gestört wird. Ich wollte, ich wäre ein reicher Mann und könnte Sie mit den Ihrigen ganz hierher nach Leipzig ziehn, daß wir an Ihrer Aufgabe zusammen weiter arbeiteten.

Ihre Äußerungen über Ihre Ästhetik waren mir sehr ange­nehm, sie ist die rechte, die beste, und wenn Sie das Ge­schwätz nennen, so schwätzen Sie ja so weiter, mir ist jedes Wort Gold das von Ihnen kommt.

Nun denn, frischen Muth, Braver, ich ahne daß auch diese furchtbare Erfahrung Ihnen und Ihrer Sache nur zum Segen ausgehen wird. Mit herzlichstem Händedruck und innigen Grüßen, auch für Ihren Schwager und Ihr Wible

Ihr treuer R. Hildebrand

Was hat denn eigentlich dem Fasse den Boden ausgestoßen? mein Aufsatz über Sie? bitte geben Sie mir das bestimmt an, überhaupt wäre mir Genaueres über den Vorgang sehr will­kommen. - Sehr gefreut haben mich die Grüße von dem Arzt und von Feuerstein, sagen Sie ihnen das wenn Sie können, und grüßen Sie wieder.

NB. Wenn Sie etwa kommen, so machen Sie sich wegen Ihrer Toilette nicht etwa die geringste Sorge, Sie glauben nicht wie unnöthig das ist gerade in einer großen Stadt. Verzeihung für die kleine und kleinliche Sorge. Eine Paßkarte können Sie wol in Bludenz bekommen, aber Sie kommen wol auch ohne die fort.

Keine