VON RUDOLF SCHLEIDEN AUS ALTONA

lfndenr: 
676
26. Februar 1869

Geehrter Herr Felder,

Sie haben mir durch Ihren freundlichen Brief am 29 Januar, Ihr Bild und das Sonnett, das Sie im ersten Schmerz über den schweren Verlust, der Sie betroffen, niederschrieben, eine große, unerwar­tete Freude gemacht. Ich würde Ihnen meinen Dank dafür schon früher ausgesprochen haben, wenn Ihr Brief nicht erst nach Frei­burg im Breisgau zu meiner lieben Schwester, Frau von Woringen, gewandert wäre, deren freundlichste Grüße ich Ihnen, wie ich das jetzt kann, mit zu übersenden wünschte. Auch sie hat, wie ich, mit aufrichtiger herzlicher Theilnahme gehört, daß Sie bei der Aus­arbeitung Ihrer Selbstbiographie in der Sie uns auch ein Bild der Vorzüge und Schattenseiten Ihrer schönen Heimath vorführen wollen, Ihre beste Kraft wiedergefunden haben. Das hatte ich erwartet, als ich Ihnen gerade zu dieser Arbeit rieth, auf die ich mich doppelt freue, seit ich Sie persönlich kennen lernte, den Wald u. seine Bewohner aus eigener Anschauung lieb gewann. Lassen Sie uns nicht zu lange drauf warten.

In meiner Jugend habe ich einmal mit Vergnügen Klingers „Welt­mann u. Dichter" gelesen. So verschieden die dort geschilderten Charactere u. Verhältnisse auch von den unserigen sein mögen, bin ich durch die erfreuliche Begegnung mit Ihnen doch unwillkürlich wieder an den Gegensatz erinnert. Wie dort, ist auch hier der Weltmann, wenn ich mich so nennen darf, derjenige, der am meisten bei der Begegnung gewinnt. So groß u. schön auch manche Aufgaben sein mögen, welche das practische Leben in Staat und Gemeinde auch mir oftmals gestellt haben, u. so vielen Grund ich auch haben mag, dankbar auf manchen guten Erfolg meiner Thätigkeit zurückzublicken, habe ich doch oft u. schmerz­lich dabei empfunden, wie leer meistens das Gemüth bei solcher Thätigkeit ausgeht, denn in unserer realistischen Zeit wird der Gefühlspolitiker sein Ziel entweder nicht erreichen oder darüber hinausschießen. Selbst der eigentliche Staatsmann, dessen Be­deutung wesentlich davon abhängt, daß seine Natur eine glück­liche Mischung von Verstand u. Herz in sich vereinige, daß er bei scharfsinniger Durchdringung des einzelnen Gegenstandes des Glaubens an das Ideale nicht entbehre u. gewissermaßen mit Seherblick über die nächstliegenden Verhältnisse u. die Gegenwart hinauszuschauen verstehe, wird diesen Mangel oft empfinden, wenn er nicht das Glück hat, sich von Zeit zu Zeit ganz aus dem gewohnten Wirkungskreise herausreißen, sich im Genuß der ewig jugendlichen Natur u. im Umgang mit Männern erfrischen zu können, denen es vergönnt war, sich unberührt von dem zu halten, was wir die große Welt nennen. Die schönen Herbsttage im Bregenzer Wald u. die Begegnung mit dem Dichter des Waldes, den gerade damals ein tiefer Schmerz niederdrückte, so wie das längere Zusammensein mit meiner lieben Schwester, die auch zu diesen begünstigten Naturen gehört, waren für mich eine solche Zeit geistiger Erfrischung, u. ich denke deshalb auch heute noch gerne daran zurück. Seitdem habe ich wieder manchen Tag in ernsten Verhandlungen, manche halbe Nacht an meinem Schreib­tisch u. hinter meinen Acten zugebracht, stehe jetzt im Begriff, von Neuem meinen Sitz im Reichstage des Norddeutschen Bundes u. demnächst im Zollparlament einzunehmen, wo selbst für solche Erinnerungen wenig Muße übrig bleibt. Aber ich halte an der Hoffnung fest, daß der Herbst mir neue Tage solcher Erfrischung bringen wird, daß auch wir uns noch wieder begegnen werden. Bleiben Sie, bitte, Ihres freundlichen Versprechens eingedenk, wenn Sie wieder einmal nach Leipzig gehen, auch hierher zu kommen und mich zu besuchen. Es würde mir das eine große, aufrichtige Freude sein. Seien Sie herzlich gegrüßt von

Ihrem ergebensten R. Schieiden.

Keine