AN WILHELM PHILIPP VON HAMM IN WIEN [ENTWURF]

lfndenr: 
615
16. Oktober 1868

Verehrtester Herr Ministerialrath

Aufgemuntert durch die Theilnahme die E W den Bestrebungen meiner Heimat und den Verhältnissen ihrer fleißigen Bewohner zuwenden, wage ich es, Ihnen in beiliegender Erzählung ein Spiegelbild unserer socialen und wirthschaftlichen Zustände zu übersenden. Der Entschluß, es zu thun, stand fest, noch bevor mein verehrter Freund Feuerstein mich durch seine Mittheilungen aus einer mit Ihnen gehabten Unterredung erfreute. Nun aber erfasse ich um so schneller und mutiger die Hand, welche Sie dem schwer Geschlagenen Sorgenbelasteten gütigst reichen. Noch bin ich nichtdreißigjahrealt, aberein Leben voll Kampf, voll blutsaurer Arbeit und bitterster Entbehrung liegt hinter mir, ein Leben, wiees wol schon halbejahrhunderteeines Menschenlebens ausfüllte und manches Haupt bleichte. Oft und oft hat die blasse Sorge liebere freundlichere Gestalten verscheucht die dem Ein­samen in seinem Arbeitszimmer, seinem Wingolf erscheinen und mich dem Jammer des Alltagslebens entrücken wollten. Unverstan­den, der Umgebung ein unheimliches gefürchtetes Räthsel, schloß ich mich um so inniger an die, deren Herz für mich schlug. Ein edles großes Weib ward mein ganz mein und eine Mutter umgab den Sonderling mit ihrer Liebe ihrer Sorge, ihrem Gebeth. Friedlich und froh bearbeiteten wir zusammen unser kleines überschuldetes Gut die freien Stunden aber, die ich mir abkargte oder auf Unkosten der Meinigen gewann und die Nächte waren edlerer Beschäfti­gung, waren dem gewidmet, was immer meine Erhebung mein Trost meine Erbauung war. Was meine Landsleute mir dem Unver­standenen in den Weg legten, vermochte nicht mich zu verbittern. Mein Auge und mein Herz blieben offen für des Volkes leibliche und geistige Noth. Doch Sie wissen wol von meinem Freunde Feuerstein, wie ich bemüht war, hier den Vereinsgedanken zu verwirklichen. Es ist mir manches gelungen und das war mir immer ein Trost wenn häusliche Sorgen, für die erblindende Mutter, die siebzigjährige Witwe, meine Frau, die mir Auge und Hand, Hausmutter und Magd war, oder die unerzogenen fünf Kinder mich niederdrücken wollten.

Unter diesen Verhältnissen sind sowol die Sonderlinge als auch reich und arm entstanden und - ich möchte sagen - mit meinem Herzblute geschrieben, geschrieben unter tausend Sorgen und Kämpfen mit Schwielenbedeckter Hand. Und nun, als ich einmal aufathmen wollte, da erkrankt meine Frau und stirbt. Ich habe das wie einen furchtbaren Riß durch mein ganzes Wesen empfunden. Was man sagt, mich zu trösten, war vergebens. Wie ich früher im Hingeben ans Allgemeine alein überwinden konnte, was als Last sich auf mein Einzelleben legte, so vermochte auch jetzt nur das Hinausleben aus mir selbst meinem gebrochenen Wesen wieder einige Spannkraft zu geben. Als ich in der Zeitung las, das Vereine, dem von mir ähnlich, mit einem veranlaßten Preise bedacht werden sollen

Keine