FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
378
4. Juli 1867

Lieber Freund!

Ich beeile mich, Dir genau die Erlebnisse meiner letzten in jeder Beziehung sehr interessanten Reise mitzuteilen. Vor­gestern abends sieben Uhr kam ich in die Garns in Bezau, wo ich die Wirtin sehr freundlich fand. Sie sagte mir aber, daß es dem Dr. Greber beinahe gelungen sei, sie böse auf mich zu machen. Bald wurde ich von einem von Feursteins Arbeitern freundlich hinauf gebeten. Feurstein war allein, er war erfreut, mich bei sich zu sehen, wir redeten von den letzten Ereignissen, und er sagte mir, daß man überall für mich sei. Dr. Leitner sei in Wien gewesen und habe sich geschämt, auf die teilnehmenden Fragen wegen meiner Per­son nicht mehr zu wissen, so daß die Wiener sahen, wie wenig Teilnahme ich noch gefunden. Feurstein meinte, diese Reise könne in meiner Angelegenheit einen ändern Wind nach Bezau gebracht haben. Nach Dr. Leitners in Wien vorge­gangener Bekehrung sei derselbe von den dort lebenden Vorarlbergern mit einem Auftrage „beehrt" worden, der vor mir und vor jedermann einstweilen noch geheim zu halten sei. Nämlich: Durch Freunde und auf andere Weise zu er­forschen, wie ich über öffentliche Unterstützung der Dichter denke und ob ich wohl ein Geschenk des Volkes von Vorarlberg und derjenigen, die den Bauerndichter liebten, ob ich wohl so ein Geschenk annehmen würde, um von der Zwangs­arbeit frei zu werden und die Augen schonend den Tag zum Lesen und Schreiben benützen zu können. Engelbert Keßler, Bergmann, Pfeiffer (eine sprachwissenschaftliche Größe der­zeit in Wien), Seyffertitz, Froschauer und viele andere haben sich bereits zusammengetan und einen „Ruf" ausgearbeitet, dessen Abschrift sich in Feursteins Händen befindet. Mir und Feurstein gefällt er nicht, was ist zu machen? Er ist überzeugt, daß ich eine Unterstützung zu kräftigerm Wirken von jeder Seite aufnehmen werde, und er bereits den Beitritt zu dem sich bildenden Komitee zugesagt hat.

Die Abendunterhaltung in der Garns dauerte sehr lang. Meine Zwei Geburtstage wurden vorgelesen und fanden besonders Feursteins, Reinhardts und Leitners Beifall. Dr. Greber war betrunken. Nach der Vorlesung hieß es: Es sei alles recht und gut und auch das Land könne trotz allem mit mir wohl zu­frieden sein, ja mir nur danken, da ich wirklich an der Brücke baue, doch - in ähnlichen Fällen solle ich nur nach Bezau kommen, auch dort sei ich ein lieber Gast und man werde mich schon zu schützen wissen. Unsere berühmte Heimfahrt nannte man „allerdings ein wenig -", aber sie habe jetzt das Gute, dem Gegner Veranlassung zu so einer niedern Verteidi­gung gegeben zu haben.

Gestern Vormittag zehn Uhr erschien ich bei Müller und erhielt Mitteilung, daß am 25. Mai das Untersuchungsgericht die Akten wegen Ehrenbeleidigung nach Bezau geordnet, aber kein Vergehen nach § - Bedrohung erkenne. Pfarrer Rüscher ist bereits am 25. Juni vernommen, auch Pater Beda. Müller redete nun nach Kräften zur Vereinbarung und versprach, alles Mögliche zur Beruhigung der Gemüter zu tun. Ich aber wollte nur eine amtliche öffentliche Erklärung ohne Pfarrers Unterschrift durchaus nicht annehmen. Nun wurde auch Dr. Leitner ins Zimmer gerufen, um mir einzureden. Leitner aber war in Wien. Er redete pflichtgemäß, aber es war, als ob er lieber das Gegenteil sagte, was ich jetzt auch sicher weiß.

Mithin kamen wir vormittags zu gar nichts. Nach dem Mittag­essen bei einem Spaziergang auf die Bezegg sagten mir Förster und Feurstein, auch sie würden nicht nachgeben. Dann redeten wir von einer Pferde-Eisenbahn nach Egg. Die Vor­steher haben schon von dem Plan geredet, man glaubt, daß sich eine Aktiengesellschaft bilden werde. Bei der erwähnten Vorsteherversammlung wurde auch ein Schriftstück der Statt­halterei wegen Verlängerung der Schulzeit und Verbesserung der Lehrergehalte verlesen. Feurstein führte das Wort. So lang die Schule nicht der Gemeinde gehöre, werde man gar nichts tun, denn erst dann könne man dieselbe als eine Bildungs­anstalt des Volkes betrachten.

Müller, der von dem Grenzboten Artikel gehört hatte, schien mir nachmittags in etwas übler Stimmung, während er einen Nachtrag zu meinen Angaben vom 18. Mai schreiben lassen mußte.

Schon war vier Uhr vorüber, als ich das Amt verließ, und ich schrieb Dir nun, so schnell ich konnte, während ich mich kaffeetrinkend zur Abreise vorbereitete. Nach mehreren zum Teil erwünschten Säumnissen machte ich mich um sechs Uhr auf den Weg. Feurstein und Reinhardt begleiteten mich bis Mellau und erzählten u. a., der Pfarrer dort habe nach Lesung der Sonderlinge gesagt, ich gefiele ihm jetzt viel besser als vorher.

In der letzten Nacht hatte ich ungewöhnlich schlecht und wenig geschlafen und kam daher jetzt etwas ermüdet in Schnepfau an, als es schon beinahe ganz dunkel war. Ich ging in das Haus des Gallus Moosbrugger, um das Geld für mein Wintermolken in Empfang zu nehmen und mich zu­gleich um ein Fuhrwerk wenigstens nach Au umzusehen. Gallus war nicht bei den übrigen Hausgenossen, Taglöhnern, am großen runden Tisch inwendig neben der Haustür. Ich ging in die Stube, wohin mir die Wirtin den geforderten Wein brachte und die Türe hinter sich offen ließ, so daß wir und die draußen Essenden uns verstanden, wenn wir redeten, ohne uns zu sehen. Ich erkundigte mich nach Roß und Wagen.

„Die Rosse sind müd und morgen in aller Frühe müssen sie wieder fort", behauptete die Wirtin und fügte bei, daß man auch keinen passenden Wagen zu Hause hätte. „Das ist mir ärgerlich", sagte ich, „denn heute gehe ich wirk­lich nicht mehr gern durch den langweiligen Wald hinein." „Du brauchst dich nicht zu fürchten", sagte die Wirtin. „Ich selbst dürfte mit hinein oder", fügte sie, sich an einen der draußen Essenden wendend, bei, „oder du kannst ja mit ihm gehen."

„Ich würde ihm das Messer in die Brust stoßen", hörte ich eine Männerstimme sagen, die die eines Taglöhners zu sein schien. Die Wirtin ward verlegen, und die Art, wie sie dem Redenden sein Geschwätz verwies, überzeugte mich mehr, daß es keiner ihrer Söhne gewesen sei. „Da könnte ich mir wohl fürchten", knüpfte ich an die letzten von der Wirtin zu mir gesprochenen Worte an. Hastig leerte ich mein Glas und ging, während die Wirtin in einem fort versicherte, daß man mir gewiß nichts tun werde.

Erst erschrak ich über diese Rede, jetzt aber freut sie mich wie den Pfarrer Rüscher unser Einzug in Schoppernau. Der Fall wird einen Schuß ins Wespennest Schnepfau geben. Ich bin froh, daß ich da einen Faden fand und werde das noch heute und wörtlich wie Dir dem Bezirksamt melden. Spät am Abend kam ich mit allerlei Gedanken zu Schop­pernau an.

Josef Anton Ratz ist gestorben. Feurstein meint, jetzt sollte man für die Handlungsgesellschaft reden. In Bezau würde ich kräftige Unterstützung finden. Das Erlebnis zu Schnepfau werde ich wohl veröffentlichen, aber vor der Untersuchung, die auf meine Angaben wohl eingeleitet wird, soll kein Wäs­serlein getrübt werden. Dem reichen Galli könnte die Ge­schichte unlieber sein als 100 Fl. Ö.W.

Er ist nicht gut auf mich und soll auch den Vorsteher in Bezau bei der letzten Versammlung fast verächtlich behandelt haben, weil er sich öffentlich meinen Freund nannte.

Das ist, was ich Dir von meiner letzten Reise zu erzählen habe.

Auch an Mayer will ich schreiben. Ihm den Fall in Schnepfau

samt dem Übrigen melden und ihn noch um Stillschweigen

bitten. Ich erwarte eine Kritik meines Verhaltens und weiteres.

Mit Brudergruß und Handschlag, Dein Freund

Franz Michael Felder

Keine