FRANZ MICHAEL FELDER AN KASPAR MOOSBRUGGER

lfndenr: 
464
22. Januar 1868

Lieber Freund!

Ein Brief von Dir in Quart läßt schon zum voraus auf eine Erregtheit schließen, wenn sie sich auch, wie im letzten, hinter eisiger Ruhe verbirgt. Ich antworte in gleicher Weise. Du magst nicht immer mit dem Strom schwimmen? Mir wird's nachgerade unerträglich, meilenweit davon im Sumpfe zu stecken. Du da droben atmest die frischere Luft des kürzesten Tages, den man den jüngsten des Konkordats nennen kann. Da muß es Dir wunderbar vorkommen, daß das Volksblatt einen Religionskrieg predigt. Meine Berichte sind aus dem Mittelalter, das ist wahr; aber höre sie!

Dein Vergleich paßt, indem sich zwei Menschen, oder vier von bäurischer Abstammung, schlugen. Auf der einen Seite stand der Uhrenmacher, dessen Berchtold zu gedenken scheint. Der Rößlewirt und sein Vetter hielten ihn, der Knecht schlug mit einem eisenbeschlagenen Stiefel, der gefroren war, auf seinen Kopf. Eine ganz gemeine Schlägerei, wenn man sie nur so obenhin berichtet, wie ich's tat in der Voraus­setzung, daß Du findest, was daraus erwachsen mußte und auch wirklich zum Teil schon erwachsen ist. Am Montag war das Vereinsfest, ich schrieb Dir, wie wir da des Pfarrers Eitelkeit verletzten. Am Dienstag schon war Wehklagen auf allen Gassen, in allen Häusern. Der Rößlewirt wußte kaum sich genug zu lügen, was alles der Uhrenmacher gesagt habe. Am Mittwoch langte die Entscheidung der Statthalterei an und befahl, die Neuwahlen vorzunehmen. Die Agitation bei den jubelnden Alten und den erbitterten Neuen begann mit allen Mitteln. Unsere Parteien sind sich an Kopfzahl so ziemlich gleich. Der Uhrenmacher rennt wie ein Wütender herum und klagt dann wieder über schreckliches Brennen. Am Don­nerstag muß er sich legen und das Dökterle rufen, welches sofort beim Gerichte Anzeige macht. Großes Hallo der From­men. Der Uhrenmacher soll sich nur so verstellen, um den Rößlewirt noch vor der Wahl in eine Untersuchung zu ver­wickeln. Auch der Pfarrer behauptet das. Bis zum Freitag ver­schlimmert sich Felders Zustand. Ein losgeschlagener Bein­splitter am Wirbel beginnt stark zu eitern. Am Samstag fordert das Amt genaue Erklärungen. Das Dökterle findet eine schwere Verletzung. Wenigstens drei Wochen werde Felder liegen müssen und die Sache könne sogar noch lebensgefähr­lich werden. Es fordert eine gerichtliche Kommission. In der Gemeinde, auch in Au, redet man so laut vom Schlagen, die Neuen von Rache, die Alten von einer Demütigung der Freimaurer, daß unser ultramontaner Rößlewirt am letzten Montag in der Niederau eine Hochzeit nicht ohne Gendarmen zu halten wagte, obwohl die Rache des kranken Uhren­machers nicht zu fürchten war. Das tat der Rößlewirt, der jede

Erregung mit seiner bekannten Frechheit leugnete, obwohl sein Haus jetzt als frommes Brutnest, als Lügenfabrik, er selbst als der unverschämteste Hetzhund in zwei Gemeinden be­kannt und gerade darum von Freunden und Gegnern seltener als je besucht ist. Du hast keinen Begriff, was dieses Männ­chen über mich, die beiden Vorsteher und meine übrigen Freunde aufbringt. Es ist kein Wunder, wenn einem da die Seele in die Faust fährt. Am letzten Freitag, als es dem Dökterle erzählt hatte, daß Felder sich nur verstelle und gar nicht verletzt sei, teilte es diesem auch mit, ich hätte vor einem Jahr einer liederlichen Person das Huren erlaubt, wenn man ihrem Liebhaber, dem Pächterle, das Bürgerrecht nicht gebe. Du weißt, daß ich ihm wirklich half und im Ausschuß siegte. Daß ich mich zu solchen Zugeständnissen aber nicht aufgelegt fühlte, kannst Du Dir denken. Es soll diese Angabe nur die Tätigkeit des Rößlewirts bezeichnen.

Des Pfarrers Vater goß noch öl ins Feuer, er verdrehte die vom Rößlewirt gehörten Reden des Uhrenmachers, den man immer wie Berchtold mir nahe stehend und mein Sprachrohr nennt, noch ärger, klagte über die Zurücksetzung, die der Pfarrer am Montag erlitt, hetzte, spöttelte, schimpfte, drohte sogar mit dem Gerichte und tat alles, was wirken sollte und wirkte. Jedermann sagte am Samstag, die Aufregung habe noch nie so hohen Grad erreicht. Uns allen bangt vor der Neuwahl, wir fürchten eine Schlägerei, wenn die Alten durchfallen sollten. Bei Gott aber, ich war ruhig genug, und Du bist der erste, der mich mutlos nennt. Wer nicht vom Pfarrer blind gemacht ist, sieht ganz klar, daß ich im letzten Frühling recht hatte, sogar der Rößlewirt in Au. Viele glaub­ten, am Sonntag werde der Pfarrer nun endlich doch ein beruhigendes Wort an die Gemeinde richten.

Ich dachte, der Pfarrer werde es machen - wie Du, er werde die Geschichte nicht mit dem Frühem in Zusammenhang bringen wollen, werde allem den Schein des Lächerlichen geben.

Am Sonntag blieb ich länger beim Uhrenmacher als eigentlich meine Absicht war; sein Zustand hatte sich verschlimmert. Doch ich hatte zuverlässige Leute in der Predigt, die mir schon sagen konnten, was etwa vorkam.

Krebsrot bestieg Rüscher die Kanzel und hielt einen geradezu wütenden Vortrag, mit Faustschlägen und Stampfen verziert. Mein ganzes Sündenregister brachte er vor, nahm offenbar den Rößlewirt wegen der Schlägerei in Schutz und forderte jeden Christen um seines Seelenheiles willen auf, so männlich zu ihm zu halten. Denke Dir nur, sogar meine Mutter kam aus der Fassung. Mit den bittersten Vorwürfen sagte sie mir mittags, wie es ein Elend sei und wie die Weiber und Mädchen geweint und nachher gejammert hätten. Vielleicht kannst Du Dir, wenn auch nur fern, annähernd vorstellen, wie es in den übrigen Häusern, auf der Gasse, dem Kirchen­platz und in den Wirtshäusern zuging. Ich bin in die Wahl­kommission ernannt. Ich beantragte, eine gerichtliche Kom­mission zu berufen. Der ganze Gemeindeausschuß, zwei M[ann] ausgenommen, teilt meine Besorgnisse, doch viele Leute und Ausschüsse wünschen die ohnehin nicht zu ver­meidende Schlägerei beinahe, um das Gericht, mit dem der Pfarrer von der Kanzel drohte, zum Einschreiten zu zwingen. Ist doch unser Vorsteher, ja selbst der alte, fast krank vor Aufregung. Hier gibt mir Freund und Feind Zeugnis, daß ich der ruhigste sei von allen. Und ist's ein Wunder, unser Dorf steht unter keinem Pfarrer mehr. Rüscher ist nur erregter Parteimann, der jedes Mittel gutheißt und sich nicht scheut, mich als Schriftsteller in der Kirche öffentlich selbsterdachter, nie von mir gemachter, nein von ihm erfundener Fehler zu beschuldigen. Als Beweis nur folgendes:

Am vorletzten Sonntag christenlehrte er von der Unkeusch­heit. Schließlich sagte er rot und röter werdend: Zur Un­keuschheit führt auch der Tanz, doch davon will ich heute nichts mehr sagen. Vor einem Jahr habe ich davon gepredigt, und ist dann von meinen Gegnern genug in Wort und Schrift ein  Langes und Breites gemacht worden. Wann? Wer ist gemeint?!!!

Unsere Gemeinde steht aber tatsächlich auch nicht mehr unter dem weltlichen Gesetz. Am letzten Sonntag und schon früher wurde der Reichsrat, die Landesvertretung durch Predigten und besonders in Wirtshäusern in den Kot gezogen. Pfarrer Rüscher nimmt auch der Majorität der Gemeindevertretung allen Einfluß. Letzthin sagte er: das weltliche Gericht würde, wenn es keine Neuwahl gäbe, bald einschreiten und den Vorsteher absetzen müssen. Am Montag ging Rüscher nach Au, um den dortigen Pfarrer zu begraben helfen. Im Rößle kamen ein Kapuziner und zehn Geistliche, darunter auch Berchtold, zusammen. Der Bezirksvorsteher war auch dabei. Rüscher schimpfte und log so unverschämt, gebärdete sich so wütend, daß es auch dem Müller zu arg wurde, wie er nachher zum Rößlewirt sagte. Rüscher nahm vor dieser Ge­sellschaft die Partei derer, welche den Uhrenmacher ver­letzten und trotzte dem Bezirksvorsteher mit der Behauptung, Felder sei nicht krank, sondern verstelle sich und ihm müsse noch ein rechter Doktor her, da der in Au zu den Feldern halte und ihm nicht der rechte Mann zu so etwas sei. Der Rößlewirt ist selbst von Au heraufgekommen und hat mir das alles erzählt. Das Dökterle hat Pfarrer Rüscher ver­klagt und abermals eine gerichtliche Kommission verlangt. Die Wahlbewegung wächst furchtbar. Wir sorgen, es könnte am Sonntag schlimm zugehen, die eine Hälfte des Dorfes steht der ändern gegenüber. Uns halten die Frommen für Diebe, Spitzbuben, Gottesleugner, und eine andere Partei will uns an die Spitze der Gemeinde stellen, damit wir diesen Lügenpfarrer fortbringen. Verwirrung und Unklarheit hier, Fanatismus dort, Haß und Erbitterung auf beiden Seiten. Du siehst, ich habe eine ganz andere Illustration zu meiner Uhrenmacheriade als Du. Wir wollen aber sehen, ob nicht eine Einigung möglich wäre, wenn wirklich eine Meinungs­verschiedenheit vorhanden sein sollte. Wir haben die neuen Grundgesetze, aber nach Lassalle könnten sie auch nur ein beschriebenes Blatt sein, wenn nur eine Klasse dahinter steht. Sind sie hier wirklich, hier bei uns und noch weitum etwas mehr? Ist der Kampf aus oder geht er an? Sind wir mit den Ultramontanen fertig und ist's ratsam, ihnen augenblicklich den vierten Stand in die Hand zu spielen? Ich gestehe offen, daß ich mehr um die heilige Sache des Volkes als um die Führerschaft kämpfe und kämpfen werde, wenn ich auch allein stehen müßte.

Ich hätte Dir geschrieben, wenn kein Brief gekommen wäre, und Dich ersucht, alles in geeigneter Weise vor die Öffent­lichkeit zu bringen, meine Stellung hier brauchtest Du in keiner Weise zu schonen. Nun aber, seit ich Deinen Brief gelesen, kann ich Dir diese Bitte nur noch erzählungsweise vorbringen. Noch wende ich selbst mich nicht an die Öffent­lichkeit, da die Tatsachen sich selbst stündlich häufen und ich immer noch etwas abwarten möchte, so jetzt das Ergebnis der Wahlen. Wenn Du aber nichts tust, so melde mir's oder schreibe was und rede frisch weg, wie das letzte Mal. Was das Leipziger Literatentum betrifft, so wird es durch die Gartenlaube bei Keil vertreten. Mit diesem Blatt hab ich gebrochen oder brechen müssen. Ich fand dafür bei der österreichischen sehr freundliche Aufnahme und dachte schon für den Sommer an eine Reise nach Graz und aufs Schützen­fest in Wien. Jetzt aber muß ich hier zusehen und mittun, doch gestehe ich Dir, daß ich auf Deine Hilfe hoffte. Heut erhielt ich einen wunderlichen Brief von Seyffertitz. Der Mann beneidet mich um meinen Glauben ans Volk. Der ist ihm unerklärlich. Vielleicht ist's doch gut, später, wenn Du Dich nicht an die Öffentlichkeit wendest, sich ihm vorsichtig ein wenig zu nähern. Bis jetzt hab ich nur Hildebranden die hiesigen Geschichten erzählt. Der wird aber bald Lärm schlagen, da nun meine frühern Angaben sogar blutig be­stätigt sind. Ich weiß, ihm käme das ganz erwünscht, wenn er nichts für meine Person fürchtete. Ich hab ihm drum geschrieben, für mich sei nur jetzt das ruhige künstlerische Schaffen aus, übrigens aber gebe es hier nach Rüschers Ausspruch 500 Seelen und darunter 300 Freimaurer, ich stünde also nicht mehr allein und hätte persönliche Angriffe so wenig zu fürchten als die ändern.

Diesen Brief, auf den ich umgehend zu erfahren hoffe, was Du, was Ihr da oben für mich, für uns tut, gebe ich Muxel mit nach Bregenz, den Brief vom Berchtold aber möchte ich ab­schreiben, und Du bekämst ihn daher erst das nächste Mal. ­Auf Vonbuns Urteil über die Liebeszeichen bin ich begierig. Arm und Reich wächst in erfreulicher Weise. Die hiesigen Un­ruhen greifen mich weit weniger an als vor einem Jahr, sonst hätte ich lange gehen müssen. Albrecht denkt, auch wenn unsere Partei siegt, nicht mehr Vorsteher zu bleiben. Ich glaube zwar, darum diese Ehre doch nicht fürchten zu müssen. Es gibt aber Leute, die dem Pfarrer zum Trotz den Baum vor meinem verrufenen Hause sehen möchten. Ich möchte aber nur aus Trotz nicht drei schöne Jahre hinter Steuerregistern und Akten verderben. Sag mir daher, ob mir mein Beruf oder sonst etwas nicht helfe, wenn allenfalls meine Beredsamkeit vergebens sein sollte. Noch aber hoffe ich, daß Albrecht noch bleibt, besonders wenn Rüscher auf den Schnabel gehauen werden sollte. Es gab noch manches zu berichten, aber heut hab ich keine Zeit mehr. Ihrer drei warten, vielleicht noch ungeduldiger als Du, auf den Schluß dieses Briefes, der sich ein wenig gegen den Deinen kehrt; doch darum keine Feind­schaft. Ich hoffe, bald etwas, sogar etwas Tröstliches, zu er­fahren. Diesen Brief darfst Du als Fahne zu allfälligen Feld­zügen benützen, mit welchen ich im voraus einverstan­den bin.

Mit Gruß und Handschlag Dein Freund

Franz Michael Felder

Keine