AN JOHANN JOSEF FELDER IN BORDEAUX

lfndenr: 
66
9. Dezember 1862

Geliebter Freund!

Du wirst Dich erinnern, wenn Du Dich überhaupt auch an frühe­re Zeiten noch erinnerst, daß ich im Jahre 1855, als Du von Hause abreistest, schwer krank lag: von jener Krankheit wurde ich dann wieder vollkommen hergestellt, nur eine Abneigung gegen das Kalte ist mir, vermuthlich von dem Eise, welches Du, zärtlich für mich sorgender! täglich für mich aus der Himmelrise holtest, geblieben. Ich kann noch jetzt nichts kaltes essen als Fleisch, u auch nichts kaltes trinken kurz jede Erkältung von außen wie von innen macht mir Krämpfe, Du wirst es mir daher glauben, daß ich Deinen letzten Brief, welcher ebenfalls sehr kalt war, nur schwer verdauen konnte, u etwas lange Zeit dazu brauchte. Doch nun kein Wort mehr davon! Ich habe mich damit getröstet, daß ich diese Kälte wenigstens nicht verdient hatte. Ein Jahr ist nun vorüber, seiddem Du die letzte Kunde aus Deiner Heimath erhieltest, u Du wirst nun erwarten, daß ich Dir recht viel Neues mitzutheilen habe, das ist nun aber im Ganzen nicht der Fall, es ist verteufelt wenig vorgefallen, was für Dich Intresse hätte, denn ob eine Abgehende Stikerin oder drei sich zu Tod gehustet haben, wird Dir vermuthlich so gleich sein als mir, im Ganzen sind in unserm Dorf seid Neujahr 62 6 Personen gestor­ben, 15 gebohren u 4 eingewandert, also aussterben thut unser Dörfchen Gottlob noch nicht. Geheurathet haben: „Beteriis Josef" mit einer Auerin, der „gros Sefler" am Üntschen auch mit einer Auerin! u Hironimus Moosmann (Gäbars Muttile) ebenfalls mit einer Auerinn. Die Schoppernauer mögen einander nicht mehr, u da haben sie ganz recht! Mein Weiblein ist auch aus der Au, u ich habe alle Ursache zu bekennen: Es ist ein „scharmantes Weible", willst Du das nicht glauben, so komm u sieh! Denke nur! Ich bin schon „Väterle" eines gesunden Buben geworden, der jetzt schon ein halbes Jahr alt ist. Meine Mutter ist gesund u wohl, letzten Winter hatte sie einen Arm gebrochen u mußte längere Zeit auf dem Kanapee zubringen. Da kam es mir recht Wohl, daß ich geheurathet hatte. Du mußt wegen dem aber noch nicht glauben, daß ich blos geheurathet habe, um mir eine Magd dadurch zu ersparen. Nein zu dem bin ich zu wenig Bauer, unsere gemeinsa­me Losung sind die Worte Herders: „Zur Arbeit, Liebe u. Veredlung war „Das Leben uns gegeben - fehlen diese „Was hat der Mensch am Leben? - hat er diese, „Was fehlt ihm noch? worüber will er klagen?"

Die besten Schrifsteller Deutschlands sind unser Gemeingut, meine Bibliothek ist mir ein wahrer Schatz u zwar kein kleiner, wärest auch Du da, so würde zu meinem Glük nichts mehr feh­len, u freudig würden wir Dich begrüßen u aufnehmen als den dritten im Bund, aber deswegen nicht als den letzten.

Ich habe eben gesagt, ich wüßte Dir nicht viel neues zu schrei­ben, u das ist im allgemeinen wahr, aber etwas weis ich Dir doch noch, das Dich, wenn Du an mir noch so lebhaften Antheil nimmst als früher, sehr überraschen wird, höre also mit Gedult u Aufmerksamkeit! Ich habe in meinem Leben schon manches gute Buch gelesen, aber ich habe dabei auch immer ein offenes äuge gehabt für alles was um mich her vorging, ich bin kein Bücherwurm geworden habe mir meine eigene Ansicht von allem bewahrt u dadurch, daß ich auch fremde Urtheile hörte u las, meine Ansicht nicht verloren sondern nur ausgebildet. (Ich schrei­be das nicht aus Stolz, sondern weil ich offen sein will gegen mei­nen Freund, wie es bei uns ja immer gewesen.) Ich habe meine Heimath, ihre religiösen u sozialen Verhältnisse kennen zu lernen gesucht. Ich habe ihre Sprache studirt, so weit mir dies mit den Sprachwissenschaftlichen Schriften, die ich besitze, möglich war. So habe ich nach richtiger Auffassung aller Verhältnisse gestrebt. Und was ist nun die Folge? Ich habe manches gute, das gefördert zu werden verdiente, gefunden, aber auch viele Übelstände, die sich wie schwarze Schatten über das liebliche Bild des jdillischen Wälderlebens hinziehen. „Wer hier etwas thun könnte durch Wort u That zur Förderung der Volksbildung u mithin des gemei­nen Wohls! der", dachte ich oft, „der hätte nicht umsonst gelebt" Schluß folgt auf B2 B2

„Immer noch der alte Schwärmer!" Wirst Du Dir denken u lächeln. - „Ja lieber Freund! u immer noch der ältere, u schon so alt, daß er in diesem Stük schon von Erfahrungen reden könnte, doch davon ein ander mal oder gar nie! Kurz u gut, ich habe, offen u geheim gekämpft gegen Irthum u Verdummung u habe dabei die bittersten Erfahrungen gemacht. Auch mit Deinem etwas Konservativen Vater bin ich zerfallen, u habe seines Hauses Schwelle seid dem 29 Dezember 1861 nicht mehr überschritten.-

Nur Gedult, lieber! Denn Dein Nähme ist Deutscher] Also habe deutsche Gedult mit meiner langen Einleitung! Sie ist nun zu Ende - sobald ich damit fertig bin. - Mein Nähme ist „Michel" u ich werde daher die Sache nicht übereilen.

Du erinnerst Dich doch noch, daß ich früher nichts Höheres kannte u wünschte, als Dichter u Schriftsteller zu werden, u noch jetzt schätze ich mich glüklich, daß mir nun dieser Wunsch erfüllt wird. Ich habe nämlich im letzten Jahr* eine Dorfgeschichte aus meiner Heimath geschrieben, da ich mich dieser Aufgabegewachsen glaubte, u habe dann meine Litterarische Arbeit an eine Buchhandlung zur Beurtheilung geschikt. Die Buchhandlung übergab das Manuskript einem Litteraten u ich erhielt nach genommener Einsicht einen Brief beiläufig folgenden Inhalts: " — Was Charakterschilderung u Durchführung derselben durch das ganze Werk, was Anlage u innern Gehalt betrifft, haben Sie den Zweck einer Dorfgeschichte vollkommen erreicht, nur in der Sprache würden vielleicht einige Änderungen wünschenswerth sein jedoch stelle ich ihnen das gänzlich anheim, jedenfalls ist unsere Verlagshandlung bereit, Ihr Werk zu kaufen u zu verle­gen!"

Ich hatte in meinem Werke sehr viele Wälderausdrücke stehen lassen, u das ist alles, was man mir zu ändern anräth, aber man macht diese Änderung durchaus nicht zur Bedingung der An­nahme, ich habe mein Werk nun wieder zu einer nochmaligen Durchsicht zurükverlangt, was ich dann ändern werde, weiß ich noch nicht. Ich muß Dir noch bemerken daß ich ein Hübsches Honorar für meine erste Arbeit für meine Erstlingsarbeit erhalte, was sonst bei manchem, später beliebten Schriftsteller nicht der Fall war. Mein Werk führt den Tittel:

„Nümmamüllers u das Schwarzokaspale" „Ein Lebensbild aus dem Bregenzerwalde." Sobald es gedrukt ist, also in ein par Monaten, werde ich Dir wie­der schreiben u Dir ein Exemplar meiner Arbeit schiken; aber bis dahin hoffe ich eine Antwort auf meinen heutigen Brief von Dir erhalten zu haben, in der Du mir schreibst, auf welchem Wege ich es Dir zu schiken solle u könne. Schreibe mir dann auch wie es Dir geht u was Du alles erlebt hast u noch zu erleben hoffest. Deine Beilage, das Gedicht, hat mir ganz gut gefallen, Du wirst Dich in meiner Dorfgeschichte überzeugen, daß meine Ansichten völlig dieselben sind. Nicht nur Kristus, auch die besten unserer Nation sind barfuß gegangen u haben mit der größten Armuth zu kämpfen gehabt. Schiller, Fichte, Herder, Lessing, Bürger, u Auerbach, das arme Schwarzwälder Judenkind, alle diese konn­ten ein Lied singen von Armut u Not, u von den Anmassungen ihrer reichern Zeitgenossen u jetzt sind diese Männer der Stolz unserer Nation. Ich sehe, daß mein Brief wieder achtseitig gewor­den ist, aber wenn er Dir auf einmal zu lang sein sollte, so kannst ja 8 Tage daran lesen. Mir ist es lieb u würde mich freuen, wenn Du mir auch eine 8seitige Antwort schiktest.

Mein Weiblein u meine Mutter sind gesund u wohl u lassen Dich freundlich grüssen. Dir ein recht gutes Neujahr herzlich wünschend, auch die Deinen sind gesund. Sonst neues weis ich diesmal nichts, als daß heute der vorarlber­ger Landtag in Bregenz wieder eröffnet wird; Weißt Du auch schon, daß man dort jetzt eine evangelische Kirche baut? Wie geht es Dir? Wie lebst Du? Was thust Du? Das sind Fragen, die ich gern beantwortet wüßte.

Lebe wohl, theurer Seppel ich bin u bleibe imer

Mit Brudergruß

u Handschlag,

Dein treuer Freund

F M Felder

PS. Unsern Vetter Gabriel würde ich bedauern wegen seim un­wohl sein, aber ich kämme sicher zu spät ich benütze daher diese Gelegenheit, ihm zu seiner hoffentlich indes wieder erlangten Gesundheit zu gratuliren u im Voraus meine Freude darüber aus­zusprechen

der Obige.

 

*Sie wurde vollendet am 1 5 August 1 862.

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