KASPAR MOOSBRUGGER AN FRANZ MICHAEL FELDER

lfndenr: 
431
13. November 1867

Lieber Freund!

Vor allem möchte ich die nähern Umstände des Unfalles meines ältesten Bruders erfahren. Wann war die Vorsteher­wahl, traf ihn die Wahl ganz unvorbereitet, welchen Charak­ter zeigte seine Krankheit, wer behandelt ihn, mit was be­schäftigt sich sein Gemüt und seine Vorstellungskraft etc.? Wenn die Vorsteherwahl Ursache seiner Krankheit ist, was ich allerdings für möglich halte, dann fällt die Schuld seiner Krankheit nicht auf ihn, sondern auf die mangelhafte Aus­bildung seines Gemütes, infolge welcher das, was man „Mut" heißt, gar nicht entwickelt wurde. Er steckt zu tief in der dort üblichen Religionsmethode, die jede kräftige Gemütsent­wicklung hindert und unterdrückt. Er ist ein Mann von sehr kräftigen Naturanlagen, der unter günstigen Verhältnissen tüchtig geworden wäre. Ich bin geneigt, Eurer Religionspraxis seinen Unfall zuzuschreiben. Indessen bitte ich um baldige ausführliche Nachricht, und es wäre mir sehr erwünscht, wenn mir der behandelnde Arzt über die Krankheit und deren Verlauf Auskunft erteilte. Jedenfalls zeige mir an, wer ihn behandelt, und wenn Du den Arzt triffst, sage ihm, daß er mir auf meine Rechnung Krankengeschichte und sein Gutachten schicken möge. -

Im übrigen ist mir Dein Schreiben sehr erfreulich und wünsche, daß in Deinen Kämpfen und Bestrebungen Mut und Kraft in gleichem Grad wie Einsicht und Gestaltungssinn Dir zu Gebote stehen. Mut und Vertrauen auf die gute Sache, die man vertritt, ist die Grundbedingung des Erfolges. - Ich freue mich auf die Liebeszeichen, von denen ich hier noch nichts gehört habe. Wie steht es mit den Gesprächen? Diese sollten denn doch auch von Stapel gehen. - Die heurigen Gemeindewahlen sind auch hier mitunter interessant, so z. B. wollte ein Vorsteher im Walsertal mit Gewalt wieder Vor­steher werden. Was tut er? Er läßt keine Stimmzettel zu, sondern öffentlich, wie früher, wählen und nimmt auch gleich die Vorsteherwahl vor, wobei er auch wirklich Vorsteher wird. Natürlich wird alles für null und nichtig erklärt. - Der im Lande durch die Verfolgungen der Feldkircher Zeitung wohl bekannte Dr. Thurnher, Korrespondent des Volksblattes, ist nun statt des Dr. Grebmer, der nach Meran übersetzt wurde, hier und ist eine nicht uninteressante Persönlichkeit. ­Am 29. v. Ms. hat mich die Lisel wieder mit einem Kind beschenkt, das ich im Unmut, es nicht „Martin" taufen lassen zu können, „Martina" heißen ließ. Baldiges Schreiben erwartend, mit Gruß und Handschlag Dein Freund

K. Moosbrugger Alles gesund.

Keine