AN RUDOLF HILDEBRAND

lfndenr: 
177
22. März 1866

Verehrtester Herr Hildebrand!

Der 18 März, der Tag an dem ich Ihren so erfreulichen Brief erhielt ist einer der schönsten meines ganzen Lebens. Auch alle Folgenden würden Festtage für mich sein wenn es mir möglich wäre so viele Liebe, so herzliche Theilnahme zu ver­dienen.

Leichter jedenfalls wird mir nun Alles werden, nachdem Sie mir so freundschaftlich die Hand reichten. Nicht etwa nur darüber freue ich mich, nun wieder eins der 935 Werkchen in die Welt schicken zu können; der schönste Erfolg meiner schwachen Versuche bleibt sicher Ihr freund­schaftlicher Brief.

Und daß er von Norden kommt freut mich noch ganz be­sonders. Glauben Sie mir: Jubelnd reichen mit mir noch viele Vorarlberger Ihnen im Norden die Hand über alle Schlag­bäume hinüber. Schon bevor das Banknotenunwesen unser Völklein, das mit dem „Ausland" (Deutschland) lebhafter verkehrt als mit dem Kaiserstaat, arm und mißtrauisch machte, hieng der Bregenzerwälder mit Leib und Seele an Deutsch­land und es ist ihm fast unmöglich, gewisse Heldenthaten unserer Nachbarn der Tiroler, zu denen man uns so gerne zählt zu begreifen. -

Doch für jetzt genug hievon, denn schon das Gesagte wird Sie mir glauben machen wie froh ich war, daß Sie nicht nach Wien zu schreiben brauchten, obwol ich die genannte Firma kenne und schätze.

Meine Freude über Ihren Brief haben die Meinen und einige Freunde, biedere herzgute bregenzerwäldler Bauern und Handwerker, mit mir getheilt. Gelehrte und studirte Freunde hab ich nicht auser einem Bruder meiner Frau, einem Be­amten den ich vor 5 Jahren kennen lernte. Sonst hat sich niemand um mich gekümmert als meine Gegner; niemand hat mich geleitet, nachdem ich einmal den Pfarrer auslachte als der mich vor der Luft aus Norden warnte, „von der man so leicht den Schnupfen bekomme".

Ich soll eben bei der Mistgabel bleiben, darüber sind unsere Studirten eins geworden, daher kommt auch der Schimpf­artikel über mein erstes Werk in der vorarlberger Landes­Zeitung, die Bauern sollen nicht auf mich hören; sie sollen überhaupt auf niemand hören!

Ja das ist eben unser Elend, daß sie alle von Gottes und des apostolischen Stuhles Gnaden uns voneinander reißen, und diese auf künstliche Weise groß gezogene Selbstsucht, auf welche die Mächtigen ihre Paläste bauen das ists eben, was ich in den Sonderlingen darzustellen suche. Der Schauplatz meiner Darstellung ist ein ungemein enger, der Grundge­danke des Werkchens aber ein deutscher. Wir Wäldler leben ganz abgeschlossen von der Welt und Staat und Kirche suchen aus unseren gemeinsten Leidenschaften Vortheil zu ziehen. Ein Einzelner kann dagegen nichts ausrichten, vor allem muß im Bauer der Geist der Gemeinsamkeit, des deut­schen Genossenschaftswesens gewekt werden. Ich darf sagen, daß ich da für unser Ländchen schon manches gethan habe was auch anerkannt wird und nicht ganz fruchtlos bleiben zu sollen scheint. Obwol ich mich hauptsächlich mit der sg schönen Literatur beschäftige so bin ich doch überzeugt, daß es in Vorarlberg wenige gibt, die die Schriften der Schul­zeschen und Lassaleschen Richtung, die die von Liebig, Carey so fleißig lesen als ich. Auch ist meine kleine Bibliothek von einigen hundert Bänden Gemeingut der ganzen Gegend. Es freut mich immer Bücherfreunde zu finden und sie sind auch hier nicht so selten als man glaubt.

Sie wünschen etwas von meinem Lebens- und Bildungsgang zu erfahren und ich bin froh, Ihnen wenigstens einen Wunsch erfüllen zu können. Später einmal gedenke ich meinen Le­benslauf kurz zu veröffentlichen; nicht weil ich mich selbst für bedeutend genug halte, aber dem Freunde unseres Länd­chens muß es lieb sein, Personen und Verhältnisse kennen zu lernen die auch mich erzogen oder sich auch mir feindlich gegenüber stellten.

Das Glück und der Friede meiner ersten Lebensjahre wurde sogar dadurch nicht gestört, daß ein Artzt mich in betrunke­nem Zustand um das eine Auge brachte. Da kam das Jahr 48. Ich war damals 9. Jahre alt und hörte das erstemal von Mord und Krieg erzählen. Selbst mein Vater ein ächter Bauer, las jetzt eine Zeitung und mir wurde bald der wöchentlich ein­mal kommende Bothe wichtiger als die öbstlerin. Der Lärm verging bald - aber ich und der Vater waren nicht mehr die Alten. Wir hatten nun erfahren, daß hinterm Berge auch Leute wären. Halbe Nächte lasen wir um die Wette. Unsere Hausbibliothek enthielt eine 300jährige Legende, Leben und Thaten Schinderhannes, Genofeva und alte Kalender, wir entlehnten daher Altes und Neues, was wir nur auftreiben konnten.

Wehmuthsvoll gedenke ich dieser schönen Abende, in denen wir die alten Heldensagen aus Volksbüchern mitsammen lasen bis die Mutter uns zu Bette schikte. Ach, sie waren bald vorüber; am 13 Februar 49 starb der Vater am Schlagfluß und wurde als Leiche heimgebracht. Nachher hab ich nie mehr mit Kindern gespielt. Ich blieb daheim half der Mutter arbei­ten, da unsere Mittel uns nicht erlaubten einen Knecht an­zustellen. Mein einziger Zeitvertreib war u blieb das Lesen. Ich habe nie eine andere Schule besucht als die zu Schop­pernau, wo der Lehrer damahls jährlich 70 Gulden „Lohn" erhielt und im Sommer als Maurer u Anstreicher im Schweise des Angesichts sein Brot verdiente. Im Jahre 53 erhielt ich eine Nummer des Dorfbarbirs um ein Stücklein Seife einzu­wikeln. Ich las das Blatt bestellte es und wurde dann auf die Gartenlaube verwiesen. Diese hat mir zuerst von unseren Dichtern und Denkern erzählt. Im Jahre 57 bekam ich Lust die damahls bei Kotta erscheinenden deutschen Klassiker zu bestellen. Das Geld dazu hab ich mir mit Holzziehen, Schin­delnmachen und als Ziegenfellhändler verdient. Aber je mehr ich nun lernte, desto weniger paßte es in die Welt in der ich leben mußte. O viel Kraft hab ich gebraucht zum Widerstand gegen die vom Pfarrer u Vorsteher wider mich gestimmte öffentliche Meinung. Viele meiner Mängel und Schwächen ließen sich mit meinen unglaublich ungünstigen Verhältnis­sen entschuldigen. Ich wurde verbittert; als ich im Jahre 50 zum erstenmal nach Lindau kam und nun wieder in die enge Heimath zurük sollte blickte ich wehmütig über den Boden­see und suchte mit - allerlei Gedanken die Stelle wo er am tiefsten sein mochte.

Die Liebe hat mich gerettet und mit meinem Schiksal ver­söhnt.

Ich lernte in Au ein Mädchen kennen, das von seinem Bruder mancherlei gelernt hatte, und das wie wenige fähig war mich zu verstehen und Freude u Leid mit mir zu theilen. Das Haus dieses Mädchens in dem noch 7 Geschwister lebten war der Sammelplatz aller jungen Leute. Man schwatzte und lachte, ich wurde ganz ein Anderer und lernte die wakern Wälder wieder schätzen und lieben.

Ich fing an unsere Sprüchwörter und Redensarten zu sam­meln. Ich schrieb ein kleines Wörterbuch und staunte dabei selbst über den Reichthum unserer Mundart, ich dichtete einige „Volkslieder" die jetzt hie und da gesungen werden, und meine Heimath wurde mir immer lieber. Das Schwarzo­kaspale schrieb ich wie vieles andere nicht zum Zwek der Veröffentlichung, erst der Bruder meiner Frau hat mir Muth dazu gemacht.

Seitdem lese ich so viel mir Zeit und Geldmittel erlauben. Hier muß ich leider sogar die Zeitungen alle selbst anschaf­fen, da mir unsere billigen Blätter das nicht bringen was ich vor allem wünsche. Die Augsburger Allgemeine halte ich. mit einem Wirthe in Bezau, die Blätter f. literarische Unterhaltung, Roman-Zeitung uswaber muß ich alein halten. Beim Be­stellen neuer Bücher bin ich sehr vorsichtig, da ich nur zu oft nicht das darin fand was ein Recensent versprach.. Freitags Verlerne Handschrift aber war mir, wie Sie nach dem eben Erzählten glauben werden, sehr interessant. Jetzt beziehe ich die ausländischen Klassiker (von Meier) da ich sie leider nur in Übersetzungen lesen kann.

Doch ich habe vielleicht schon zu lange von mir selbst ge­redet. Sie werden nun begreifen wie sehr Ihr Brief mich freuen mußte und wie herzlich ich es bedaure, dafür gar nichts zu haben als den Wunsch, daß Ihnen doch recht viele so schöne Tage werden mögen wie mir der war an dem ich ihn erhielt.

Die Ludmilla Korber in Feldkirch hat seit damahls viel Kum­mer erleben müssen. Jetzt ist sie Kammerfräulein bei Hrn Ganahl in Feldkirch im letzten Sommer war sie hier und wir haben von Ihnen geredet. Gewiß wird Ihr Gruß sie herzlich freuen.

Daß das Wirthshaus in Schröcken, so wie auch die Kirche und die danebenstehenden Gebäude am 28 August 1863 abge­brannt sind werden Sie wol gehört haben. Jetzt steht ein anständiger Gasthof dort und wenn Sie mir noch einmal die Freude machen wollten mich zu besuchen so würde ich Sie dorthin begleiten und Ihnen dann recht viel von meiner lie­ben Heimath erzählen.

Mit den „Sonderlingen" hoffe ich bis in 6-8 Wochen fertig zu werden. Das Ganze ist jetzt ausgearbeitet und hat mir schon manche frohe Stunde gemacht. Was andere dazu sagen werden weis ich nicht. Einzelne Kapitel hab ich einer ein­fachen, herzguten Familie, die nach meiner Ansicht unser ganzes Volk würdig repräsentirt, vorgelesen, den Eindruck auf diese reinen Gemüther beobachtet und doch nichts ge­ändert. Auch mit dem Nümmamüller hab ichs zuweilen so gemacht.

Entschuldigen Sie den durch Sie so Glücklichen daß er es schon wieder wagte Ihre kostbare Zeit für sich in Anspruch zu nehmen.

Ihnen recht herzlich dankend verbleibe ich hochachtungsvoll

Ihr ergebener Franz M Felder

Keine