VON JOSEF NATTER AUS GENEUILLE

lfndenr: 
244
27. Oktober 1866

Lieber Freund

Was es für ein Glück ist, daß man Briefe schreiben u. sich auf diese Weise mit einander unterhalten kann, erfährt man erst in der Fremde. Sie sind ein starkes Band, das die Fremdler an die Heimath fesselt, fester als alles Andere. Nicht mit Unrecht hält man bei uns diejenigen für halb verloren, die keinen Briefwechsel mehr mit ihren Lieben daheim unterhalten, ohne daß sie durch besondere Umstände davon abgehalten sind. Nun mit mir hat es in diesem Stücke noch keine Noth, denn ein jeder Brief von Dir weckt in mir die Sehnsucht nach der Heimath, besonders, da Du nur Gutes aus derselben zu berichten hast. Wer hätte geglaubt, daß das kleine Samen-

körnlein so schnell zum riesengrossen Baume emporwachsen würde. Wenns nur so vorgeht u. der Baum auch Frucht bringt, doch dafür wird jetzt schon gesorgt werden. Wohl ist Lassalle zur rechten Zeit aufgetreten, so daß das Neue schon vorberei­tet war, als das Alte zusammenstürzte. Ich hatte das alge­meine Wahlrecht schon gelesen, als ich Deinen Brief erhielt. Du kannst Dir denken, wie mich das freute, mehr als mich die Niederlage Ostreichs betrübte. Wir werden wohl auch ein wenig Gutes daraus ziehen können, wenn wir zusammen hal­ten, doch das wird in Ostreich eben das Ärgste sein. Zwar ist in unserm kleinen Vaterländchen schon ein guter Anfang gemacht, denn wenn mein Freund im Stande ist, das ganze Land zusammen zu bringen, um ein Petit an das Ministerium des Handels abzuschicken, so ist es sicher, daß dasselbe auch geschieht, wenn es sich um etwas Höheres handelt. Daß Dir dieser Schritt gelungen, freut mich weit mehr, als das Resultat desselben.

Sonst sind also in Deutschland ein halbes Dutzend Staaten weniger, was wohl ein größerer] Schritt zur Einigkeit ist, als alle fortschrittliche Vereinsduselei. Wenigstens kommt es mir vor, der diesjährige Krieg habe keine ungünstige Wendung oder Ausgang genommen, denn Österreich ist ja doch nicht mehr lebensfähig, es existirt, wie Baron von Seiffertiz auf dem Landtage sagte, nur provisorisch.

Von hier ist wenig zu berichten, ich arbeite noch immer in dem nämlichen Neste, u. werde wohl hier bleiben müßen, bis ich meinen Koffer packe, um nach Hause zu reisen, was wohl noch bis Weihnachten dauern wird. Es kommt zwar noch auf das Wetter etwas an, wenn es recht kalt wird, so verleidet es mir wahrscheinlich früher, jedoch vor Klaus einlegt, jedenfalls nicht.

Ich bin froh, daß es nicht mehr lang dauert, ich gehe gern wieder eine Zeit lang heim, um auszuruhen, u. neue Kräfte zu sammeln. Besser hat mans doch nirgends, als daheim. Nicht daß es mich einen Augenblick gereut hat, daß ich fort bin, aber man geht gern heim, wenn mans gut hat. In der Fremde geht man mit den Menschen nicht mehr um, wie mit Porzellan, sondern wie mit Hacke u. Schaufel, die man zur Arbeit braucht. Da hat Mancher eine harte Schule durchzu­machen, bis er ein Handwerk gelernt hat. Oft hat man das Unglück, zu rohen, ungesitteten Arbeitern zu kommen, u. dann ist es fast nicht zum Ausstehen, wenn man nicht thut wie sie, u. ist dies der Fall, so wird mancher verderbt auf sein ganzes Leben. Ich habe einen guten u. ziemlich gebildeten Lehrmeister, u. doch muß ich noch manches herbe Wort, manchen unverdienten Tadel hören, u. dazu schweigen. Da habe ich einsehen gelernt, was für ein Zuckerboppele ich war, als ich noch daheim war. Wie mich das oft kränkte u. schmerzte, nun ist das besser geworden, u. mein Philisterzopf ein wenig kürzer, ich lache jetzt oft über die ungeheure Länge, die er gehabt.

Sonst habe ich viel gesehen u. gehört, das ich zu Hause nicht erfahren hätte, manches Gute u. auch nicht Gute, manche Einrichtung, die mir gefallen, u. manche die mir nicht gefal­len, im Ganzen sind die Menschen überall gleich, es gibt überall solche, die ihren Leidenschaften freien Lauf lassen u. solche die dieselben beherrschen. Doch gibt es erstere mehr da, wo sie durch keine Form mehr eingeschränkt werden, aber ebendarum auch weniger Heuchler. Wenn sie die Kraft hätten, wie sie in unseren Landsleuten vorhanden, so wäre es wohl weit ärger mit den schlechten Menschen, aber die Städt­ler haben keine Kraft. Man sieht nur selten einen ächten Kraftmenschen. Überhaupt lernt man, wenigstens ich, die Thorheiten im Menschen weit milder beurtheilen, wenn man sieht, in was für einer Gesellschaft sie erzogen werden. Da sieht man es recht ein, wie hülflos, wie abhängig er von seiner Zeit u. Umgebung ist, so daß einer selbst ein Engel sein müßte, um sie streng zu richten. Man erfährt es manchmal selbst, auf wie schwachen Füssen man steht. Schließlich muß ich Dir noch mittheilen, was ich schon für Ungelegenheiten mit Deinem Volks?Blatt gehabt. Es scheint fast, ob ich u. die Gründer desselben nie keine guten Freunde werden sollen. Dein letzter Brief wurde nämlich zu schwer, ich mußte noch das doppelte Postgeld, das heißt ein u. einen halben Franken dafür zahlen.

Ich mußte noch dazu herzlich lachen, daß mich gerade diese Neuigkeit soviel kostete, für die ich sonst wohl keinen Cen­time ausgegeben hätte.

Nun kann ich doch sagen, daß ich mich auch etwas habe kosten lassen für das Volks?Blatt.

Nun schließe ich mein Schreiben mit einem herzlichen Gruß an Deine Familie, hoffentlich reden wir bald mündlich mit einander.

Dein Freund Josef Natter Bitte beiliegendes Briefchen an seine Adresse zu befördern.

Keine