VON JOHANN GEORG WAIBEL AUS DORNBIRN

lfndenr: 
652
26. Dezember 1868

Lieber Freund Felder!

Sie haben mir mit Ihrem Briefe vor vierzehn Tagen eine fast unverdiente Freude gemacht. In der dankerfüllten Absicht, Ihnen mit einer recht langen Erwiederung entgegen zu kommen, legte ich Ihren Brief auf den Schreibtisch vor mich hin, zum täglichen Ansporn. Aber indem ich mir zu viel vornahm, kam ich zu nichts. Vor Allem muß ich Ihnen bekennen, dass ich in Ihrer Wiederkehr zur geistigen Arbeit die glücklichste Wendung Ihres Grames begrüsse. Ich habe das bei der Kraft u. Tiefe Ihres Geistes, so wie bei dem Reichthum Ihres Gemüthes mit Zuversicht erwartet. Der Schmerz hat seine Rechte; aber das Leben hat sie nicht minder. Als ich las, wie Sie daran gegangen, Ihre Tagebücher, u. Ihren Lebenslauf zu mustern, um den Freuden und Leiden des hinter Ihnen liegenden Lebensabschnittes Form u. Gestalt zu geben, wie lebhaft wurde ich da erinnert an die wunderbaren Worte, die Göthes Tasso spricht:

.. .Alles ist dahin! - Nur Eines bleibt:

Die Thräne hat mir die Natur verliehen,

Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt

Es nicht mehr trägt. - Und mir noch über alles -

Sie liess im Schmerz mir Melodie u. Rede,

Die tiefste Fülle meiner Noth zu klagen:

Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,

Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.

Die heilende Kraft, die von der neuen Arbeit aus bereits in Sie geflossen, sei Ihnen ein Wink, ihr treu zu bleiben. Bei der bewun­dernswerthen Anlage, die Sie zur Auffassung u. dichterischen Gestaltung Ihrer heimischen Umgebung haben, ist nur wieder etwas Vorzügliches u. in jedweder Hinsicht erfolgreiches zu erwar­ten. Ihr jüngstes Werk, von dem Sie mir den ersten Bogen schon vor Monaten zeigen konnten, hab' ich sogleich nach dessen Erschei­nen kommen lassen. Zuerst las es mein Vater u. zwar mit ausseror­dentlicher Befriedigung. Dann kam ich. Der Anfang wollte mich nicht recht packen, aber bald wurde ich wärmer u. wärmer bei der Sache. Reich u. Arm! Wie naturgetreu verstehen Sie den ewigen Widerstreit der Gegensätze zu entwickeln und auszuführen! Was wissen Sie auf dieser engen Bühne für eine Mannigfaltigkeit der Personen und Umstände zu entfalten! Wie sehr mich die Erzählung zu ergreifen vermochte, dürfen Sie aus dem Bekenntnisse schlie­ßen, daß ich mir vornahm, in einer der Landeszeitungen das Buch zu besprechen. Als ich aber hörte, daß Hr Prof. Elsensohn bereits für die Feldkircher Zeitung eine Besprechung vorbereite, wozu derselbe als Ihr engerer Landsmann u. als gelehrter Mann mehr Beruf hat, so stand ich von meiner kühnen Idee ab. Die Bespre­chung Ihres Buches durch Hr R. B. hat mich durchaus nicht befriedigt.

Ihre zahlreichen hiesigen Verehrer, namentlich aber Frl. Fusseneg­ger, Luger u. mein Vater grüssen Sie freundlichst. Dessgleichen, samt üppigsten Neujahrswünschen

Ihr treuergebener Freund D Waibel

Mit aufrichtiger Freude las ich kürzlich von der Ernennung Ihres wackern Freundes Hildebrandt zum ausserordentl. Professor.

Keine